Inspector Barnaby 03 - Ein Böses Ende
und Rauch. Ihr Keuchen wurde lauter, sie witterte Gefahr. Guy wich zurück, lächelte und zuckte mit den Schultern, um zu zeigen, daß er keine Gefahr darstellte. Dann bewegte sie sich so heftig, daß der Vorhang wegrutschte. Zum zweiten Mal erhaschte er einen Blick auf ihr Gesicht und war schockiert. Sein Magen zog sich zusammen, seine Stirn wurde kalt und klamm. Schlagartig verflog der Zauber. Angeekelt wandte er den Blick ab - das Mädchen war geisteskrank.
Unkontrolliert verdrehte sie die dunkelblauen Augen. Sabber tropfte von ihren wohlgeformten Lippen, die sie schürzte und zu einer unansehnlichen runden Schnute zusammenpreßte. Dann bemerkte Guy zum ersten Mal die Kinnlinie und die große braune Hand, die über die Wand glitt. Langsam dämmerte ihm, daß die Gestalt keine Frau, sondern ein junger Mann war. Sein Ekel verstärkte sich noch. Am liebsten wäre er aus dem Zimmer gestürmt und hätte die Tür hinter sich zugeschlagen.
Verdammt, was für ein Ort war das hier? Er war durchaus gewillt gewesen, den ersten Kerl, der draußen im Kohlbeet allein vor sich hin gefaselt hatte, zu entschuldigen, aber dieser hier, diese zurückgebliebene Kreatur, war einfach zuviel. Die Vorstellung, daß seine Tochter in diesem Umfeld lebte, beunruhigte ihn.
Er kehrte in die Halle zurück, wo man allem Anschein nach endlich von ihm Notiz genommen hatte. Vorhangringe aus Holz klapperten, ein Mädchen tauchte auf der Galerie auf und ging schnellen Schrittes zur Treppe hinüber.
Sie hatte das lange dunkle Haar zu einem Zopf geflochten und trug fließende Musselinhosen. In Bewegung erinnerte sie an eine weiße Motte mit gespreizten Flügeln. Der Musselin war an den Fesseln in Bündchen zusammengefaßt, an denen winzige, fröhlich klimpernde Glöckchen befestigt waren. Barfuß hüpfte sie wie eine Wolke Distelwolle die Stufen hinunter. Ihre Füße berührten kaum den Boden. Als sie näher kam, sah er, daß ihr geflochtener Zopf mit kleinen weißen Blumen geschmückt war und ein roter Tupfer mitten auf ihrer Stirn prangte. Sich vor ihm aufbauend, legte sie wie beim Gebet die Handflächen aufeinander, um ihn zu begrüßen. »Willkommen im Golden Windhorse.« Sie verbeugte sich.
Gezwungenermaßen mußte Guy den dritten Schock innerhalb von wenigen Minuten verdauen, reagierte aber dennoch geistesgegenwärtig. Dieser eine Augenblick war gefährlich und bot ihm gleichzeitig eine große Chance. Sein Blick ruhte auf ihrem Scheitel, der ebenfalls rot gepudert war. Er streckte die Hand aus und berührte vorsichtig ihre Schulter. Dann sagte er: »Tag, Sylvie.«
»Ich heiße jetzt Suhami.« Selbst ihre Stimme klang anders. Sanft, wohlklingend, leicht gedämpft, als dringe sie durch mehrere Baumwollschichten. »Das heißt tanzender Wind.«
Im stillen spielte Guy mehrere Antworten durch, die seiner Einschätzung nach alle mißverständlich sein konnten, und schwieg. Nickte nur mit dem Kopf und zog die untere Hälfte seines Gesichts zu einem Lächeln hoch. War diese Reaktion zu kühn? Der gesenkte Blick Suhamis verriet ihm nichts. Sie sagte: »Du bist früh dran.«
»Ja. Ich hatte gehofft, wir könnten uns vor dem Abendessen unterhalten.«
»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein.« Allein der Gedanke schien sie aufzuregen. Die Haut unter dem roten Punkt legte sich in Falten.
Unsicher und reglos stand Guy da und starrte seine Tochter an. Nur Sylvie war in der Lage, ihn in solch einen Zustand zu versetzen, und zum ersten Mal störte es ihn wirklich, daß sie dazu fähig war.
Ohne ein weiteres Wort entfernte sie sich. Durchmaß die Halle, verschwand in einem Korridor. Gewiß ging sie davon aus, daß er ihr folgte. Guy setzte sich in Bewegung und kam sich auf einmal unglaublich ordinär vor. Der Flur endete vor einer Glastür, die auf die Terrasse hinausführte. Kurz vor der Tür, auf der linken Seite, waren ein paar Holzhaken angebracht, an denen ein alter Regenmantel und ein Wäscheklammerbeutel hingen. Darunter standen mehrere Paare Gummistiefel und ein Paraffinofen. Gegenüber dieser Wand führten drei Steinstufen zu einer weiteren Tür, aus der das Klappern von Teelöffeln und Geschirr drang.
Guy drückte den Türgriff runter und trat in die quadratische, niedrige Küche. Die Kacheln und die Steinspüle hatten Risse und sahen alt aus. Es gab ein langes Eisenregal, einen moderneren Gasherd. Sylvie kochte Tee. Aus einem flachen Bastkorb nahm sie Minzeblätter, legte sie in eine kleine
Weitere Kostenlose Bücher