Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger
Laura ein schickes schwarzes Kostüm.
Der Schleier an ihrem kleinen Hut verbarg das Gesicht. Der Fahrer rief etwas. Die Frau klopfte an die Haustür. Als das Taxi davonfuhr, wurde die Tür geöffnet, und sie ging hinein.
Laura entfuhr ein Stöhnen. Sie hatte gar nicht gemerkt, daß sie die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte. Jetzt schlug sie die Hände vor den Mund und wartete, starr vor Entsetzen, ob jemand sie gehört hatte. Doch nichts rührte sich.
Während sie noch den ersten Schock verdaute, regten sich in ihr bereits andere Gefühle: Schmerz, Eifersucht, eine lähmende Trauer und Wut angesichts der naiven Selbstgefälligkeit, mit der sie angenommen hatte, daß Gerald, weil er sich nicht für sie interessierte, auch für keine andere Frau Augen haben würde. Sie hatte sich auf fatale Weise von der Nummer des trauernden Witwers blenden lassen.
Ahnend, daß sie ihr Tun bitter bereuen würde, und doch unfähig, ihrem Schicksal zu entgehen, trat Laura aus dem schützenden Schatten der Bäume. Dabei verfing sich ein Ast in ihrem Kopftuch. Die Samtvorhänge im Wohnzimmer waren nicht vollständig zugezogen. Sie stand in der Rabatte und starrte angestrengt durch den Spalt. Mittlerweile war es ihr völlig gleichgültig geworden, ob man sie dabei beobachtete.
In ihrem Blickfeld befand sich das Bücherregal und der Teil der Anrichte, auf dem das Hochzeitsfoto mit Grace gnädigerweise nicht stand. Die Vase mit rosarotem Schneeball ragte nur zur Hälfte ins Blickfeld. Dann tauchte die Frau in Schwarz auf. Sie hielt ein Glas Rotwein in der Hand. Vermutlich stammte der Inhalt aus der Flasche Bordeaux in der Küche. Sie hatte ihren Hut abgelegt. Das volle Haar fiel in weichen Wellen über ihre Schultern. Ihr Make-up war tadellos. Trotzdem ist sie älter als ich, dachte Laura. Viel zu alt für ihn.
Die Frau hob ihr Glas, lächelte und sagte etwas. Dann nahm sie einen tiefen Schluck. Geralds Wein. Bei der Intimität dieser alltäglichen Geste stockte Laura der Atem. Tränen machten sie blind. Jedenfalls bemerkte sie den alten Mr. Lilley aus >Laburnum Villas< nicht, der mit seinem Collie vorbeiging.
Amy erinnerte sich sehr deutlich an den Augenblick, als ihr klar geworden war, daß sie sich in die Sklaverei begeben hatte. Zu diesem Zeitpunkt lebte sie bereits mehrere Monate im Haus ihrer Schwägerin. Sie hatte von Anfang an versucht, sich nützlich zu machen, denn sie war sich nur zu schmerzlich bewußt, daß sie finanziell nichts zum Haushalt beitragen konnte.
Der fragliche Moment ereignete sich an einem sonnigen Nachmittag im Mai. Honoria hatte wie immer umgeben von Stammbäumen, Briefen und anderen Dokumenten über der Familiengeschichte der Lyddiards und den entsprechenden Wappenvorlagen an ihrem Schreibtisch gebrütet. Die Türglocke hatte geschrillt und Amy ihr Flickzeug beiseite gelegt, zu Honorias breiter Rückenfront hinübergesehen, sich halb vom Stuhl erhoben und gezögert. Doch Honoria hatte sich nicht einmal zu ihr umgedreht, sondern lediglich mit gereizter Geste und spitzem Zeigefinger in Richtung Haustür gedeutet.
Bis zu diesem Augenblick hatte Amy ihre ständig wachsenden täglichen Pflichten im Rahmen dessen akzeptiert, was sie unter >Sich-nützlich-machen< verstand. Schon einen Monat nach ihrem Eintreffen in Gresham House hatte Amy das Einkaufen übernommen (Dorfladen täglich, Causton einmal die Woche), die Gartenarbeit, das Sammeln von Holz für den Badeofen, Waschen, Bügeln und Mithilfe bei Honorias Ahnenforschungen. Trotzdem: Es gab gewisse Dinge, die sie nicht tun durfte; Pflichten, die unter ihrer Würde waren. Wenn auch nur eine angeheiratete Verwandte, sie war immerhin eine Lyddiard und damit gab es Grenzen für ihre Einsatzmöglichkeiten. Für das sogenannte >Grobe< kam einmal pro Woche Mrs. Bundy.
Waren Gäste im Haus, was selten genug vorkam, war es Amy sogar untersagt, den Tisch abzuräumen. »Gerade so«, hatte sie während einer der heimlichen Zusammenkünfte mit Sue geklagt, »als hätten wir ein Hausmädchen mit gestärkter Haube in der Küche versteckt.«
Sue hatte mitfühlend genickt und angemerkt, daß Honoria nun mal ein schrecklicher Snob sei.
Amy war da ganz anderer Meinung. Genausogut hätte man von Alexander dem Großen behaupten können, er sei etwas >bossy< gewesen. Die geradezu hingebungsvolle Verehrung, die Honoria für die Rolle ihrer Familie in der englischen Geschichte empfand, war regelrecht pathologisch. Seit
Weitere Kostenlose Bücher