Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
sie ziemlich schnell hinweggegangen. Ich hab mich gefragt, ob das vielleicht in Soho war. Glitzer und Federn und traurige alte Männer in weiten Mänteln.«
Wahrscheinlich meinte sie Regenmäntel. »Also in London?«
»Ich hatte den Eindruck.« Avis kramte noch ein bißchen weiter, aber es fiel ihr nichts Neues ein. Barnaby fragte, ob ihr jemand einfiele, mit dem Mrs. Hollingsworth engeren Kontakt hatte.
Avis schüttelte den Kopf. »Simone hat’s nicht so sehr mit Frauen. Sie ist, was man früher ein typisches Weibchen genannt hat.« Sie deutete mit den Fingern Anführungszeichen um »typisches Weibchen« an. »Vielleicht hat sie Sarah Lawson mehr erzählt. Sie war eine Weile in deren Werkkurs.«
Das könnte ganz nützlich sein, dachte der Chief Inspector. In dem Moment ertönte ein Stück entfernt ein Summer.
»Jetzt ist der letzte Patient gegangen«, sagte Mrs. Jennings. »Kommen Sie, Inspector. Ich bring Sie zu ihm.«
Dr. Jennings, der sich gerade die Hände wusch, schaute mit einem freundlichen Lächeln nach hinten. Der Geruch von Seife und Antiseptikum erfüllte den Raum. Er zeigte auf einen Stuhl, der direkt neben seinem großen chaotischen Schreibtisch stand. Sein Besucher setzte sich.
»Ich hab nicht gerne eine riesige Tischplatte zwischen mir und dem Patienten«, sagte Dr. Jim, während er selbst Platz nahm. »Das schafft eine große Distanz. Macht mich zu sehr zur Autoritätsperson.«
Wie den meisten Leuten war dem Chief Inspector eigentlich ganz wohl bei dem Gedanken, daß sein Arzt eine gewisse Autorität besaß. Zumindest in medizinischen Fragen. Jennings schwang seinen gepolsterten Ledersessel herum, so daß die beiden Männer gemütlich, beinah Knie an Knie dasaßen. Barnaby rutschte ein wenig auf seinem Stuhl herum, um nicht immer auf ein Plakat gucken zu müssen, auf dem eine Frau abgebildet und daneben alle Krankheiten detailliert aufgelistet waren, von denen das weibliche Geschlecht befallen werden kann.
»Soweit ich weiß, standen beide Hollingsworths auf Ihrer Patientenliste, Dr. Jennings.«
»Das ist richtig.«
»Ich fürchte, Mr. Hollingsworth ist an einer Überdosis Tabletten gestorben...«
»Ah, das war es also. Soviel zu den Gerüchten, die - das kann ich Ihnen versichern - ziemlich wüst sind.«
»Ich hab gehört, daß Sie erst kürzlich auf Bitte von Constable Perrot bei ihm vorbeigeschaut haben.«
»Am Montag um die Mittagszeit. Ich hab mehrmals gegen die Tür gehämmert, aber es hat niemand aufgemacht. Was hat er genommen?«
»Haloperidol. Haben Sie einem der beiden mal ein Medikament verschrieben, das diesen Stoff enthält?«
»Das hab ich tatsächlich.« Er griff nach einem festen Ordner aus brauner Pappe. »Das hab ich mir gleich zurechtgelegt, nachdem Sie angerufen hatten.« Er zog ein Bündel Notizzettel heraus. »Mrs. Hollingsworth - Ihren Mann hab ich nie kennengelernt - kam vor ein paar Monaten in meine Praxis.«
»Wann genau?«
»Am neunten März, falls das eine Rolle spielt. Sie klagte über Schlaflosigkeit. Nun halte ich nicht viel davon gleich Tabletten zu verschreiben, Inspector, denn hinter dem einfachen Symptom, das der Patient beschreibt, kann sich häufig etwas viel komplexeres verbergen. Also hab ich ihr ein paar Fragen gestellt, und obwohl ich sie überhaupt nicht gedrängt hab, war sie plötzlich ganz niedergeschlagen. Gab zu, daß sie einsam und unglücklich sei. Die Stadt vermisse.
Dann hab ich sie gefragt, ob denn bei ihr zu Hause alles in Ordnung wäre. Lange Zeit sagte sie keinen Ton, und ich dachte schon, sie hätte mich nicht verstanden oder wollte nicht antworten. Dann zog sie ganz hastig, als ob sie sich spontan dazu entschlossen hätte, ihre Jacke aus. Ihre Arme waren voller blauer Flecken. Als ich mir das näher ansehen wollte, wich sie zurück und brach in Tränen aus. Ich merkte sofort, daß sie ihre spontane Reaktion bedauerte. Sie wollte nichts dazu sagen, und ich wollte nicht riskieren, daß sie nicht wiederkam, also drängte ich sie auch nicht, sondern ließ die Sache auf sich beruhen.«
»Und kam sie denn wieder, Dr. Jennings?« fragte der Chief Inspector, der sich wild Notizen machte und hoffte, daß sein Kugelschreiber durchhielt.
»Ja. Ich hatte ihr das Medikament für einen Monat verschrieben.«
»Wann war das? Und wie hoch war die Dosis?«
Dr. Jennings warf einen Blick auf seine Notizen. »Dreißig Tabletten zu einem halben
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