Inspector Barnaby 06 - Ein sicheres Versteck
sie ihre Zigarette in einem Aschenbecher ausdrückte, der bereits bis zum Rand mit dunkelrot verschmierten Kippen gefüllt war, und das Zelt aus rosaroter und türkiser Seide zurechtrückte, das ihren Körper umgab. Das ganze Geschwabbel brachte ihre Ohrringe, die ihr fast bis auf die Schultern reichten, zum Tanzen. Es waren zierliche Kronleuchter aus mit Pailletten besetzten Scheiben, Emailleblüten und winzigen Mondsteinen, die an einem Geflecht aus Golddraht baumelten. Barnaby wurde bewusst, dass er streng angesehen wurde.
»Wie bitte?«
»Ich erzähle das doch wohl nicht alles umsonst, Chief Inspector?«
»Natürlich nicht, Miss Calthrop. Ich war nur gerade mit Ihrer letzten Äußerung beschäftigt. Das wirft interessante ...«
Vivienne Calthrop rümpfte die Nase. »Sie sind jetzt wieder ganz Ohr?«
»Natürlich.«
»Dann ist sie ein drittes Mal weggelaufen, und diesmal haben sie sie nicht wiedergefunden.«
Troy tat der Arm weh. Er hätte liebend gern ein Tässchen Kaffee getrunken und etwas von diesem Gebäck mit dem interessanten Namen gegessen. Andere hatten's dagegen mal wieder richtig gut, hatten nichts weiter zu tun, als sich im Sessel zurückzulehnen, ohne kaputte Federn, und aus dem Fenster zu starren. War allerdings nett zu erleben, wie er mal einen Rüffel bekam.
»Unsere Akte«, sie zog einen Ordner aus dem wackeligen Stapel auf ihrem Schreibtisch, »umfasst die Jahre von dem Zeitpunkt, als das Sozialamt zum ersten Mal auf sie aufmerksam wurde, bis zu ihrem Aufenthalt bei den Lawrences. Da gibt es handfeste Fakten sowie Aussagen von Carlotta, die wahr sein könnten oder erfunden oder eine Mischung aus beidem.«
»Was glauben Sie denn, Miss Calthrop?«, fragte Barnaby.
»Das ist schwer zu sagen. Sie hat sich gern ... wie soll ich es ausdrücken ... in Szene gesetzt. Sie kam nie einfach in einen Raum, setzte sich hin und erzählte. Immer kam eine andere Carlotta zum Vorschein. Die ungerecht behandelte, unglückliche Tochter. Das talentierte Mädchen, dem man seine Chance zum Ruhm verweigert hatte. Einmal erzählte sie, sie wär auf der Bond Street von einem Anwerber einer Agentur für Models angesprochen worden. Er hätte ihr seine Karte gegeben und sie gebeten, ihm eine Mappe mit Fotos zu zeigen. Alles Unsinn. Dafür war sie überhaupt nicht groß genug.«
»Und wie sieht's mit Vorstrafen aus?«
»Jede Menge Ladendiebstählc. Ich weiß nicht, wie lange sie das schon getrieben hatte, als sie erwischt wurde. Sie schwor damals, es sei das erste Mal gewesen. Aber tun sie das nicht alle? Sie wurde verwarnt und wenige Wochen später mit einer Einkaufstüte voller Armani-Strumpfhosen und T-Shirts erwischt. Kurz darauf wurde sie von einer Kamera erfasst, als sie versuchte, bei Liberty's ein Abendkleid zu stehlen. Am Tag vorher war eine Frau dagewesen und hatte es anprobiert. Sie hatte ewig dazu gebraucht und versucht, den Preis herunterzuhandeln. Man nahm an, dass Carlotta es in ihrem Auftrag stehlen wollte. Ein viel schwerwiegenderes Vergehen als ein spontaner Diebstahl. Als die Polizei mit ihr nach Hause ging, entdeckte man ein ganzes Zimmer voller Zeugs, alles sehr edel. Molton Brown, Donna Karan, Schmuck von Butler & Wilson.«
Troy gönnte seinem Kuli eine Ruhepause. Er sah keinen Sinn darin, diese ganzen Namen aufzuschreiben, die für ihn ohnehin böhmische Dörfer waren. Kein Wunder, dass Mrs. Lawrence das Mädchen verdächtigt hatte, als ihre Ohrringe verschwunden waren. Sie konnte froh sein, dass sie überhaupt noch ein Hemd am Leib hatte.
»Ist das die letzte Adresse, die Sie von ihr haben?«
»Ja. In der Nähe von Stepney Green.« Sie schrieb sie bereits auf. »Ich hoffe, Sie finden sie. Lebend meine ich.«
»Das hoffe ich auch«, sagte Barnaby. Als Miss Calthrop ihm den Zettel reichte, stieg dem Inspector eine geballte Ladung eines Parfüms in die Nase, das wohl die wenigsten als solches bezeichnet hätten. Bordello Nights, dachte Barnaby, oder irgendein Werbetexter hatte seinen Beruf verfehlt. Als er sich wieder erholt hatte, fragte er, ob sie Carlottas Akte mitnehmen dürften, um eventuell nützliche Informationen daraus zu ziehen.
»Selbstverständlich nicht«, antwortete Miss Calthrop. »Ich habe Ihnen alles erzählt, was für Ihre Ermittlungen relevant ist. Unsere Klienten mögen zwar auf der untersten Sprosse der Gesellschaft stehen, Chief Inspector, aber sie haben immer noch Anrecht auf eine gewisse
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