Inspector Barnaby 06 - Ein sicheres Versteck
Privatsphäre.«
Barnaby verfolgte die Sache nicht weiter. Er könnte immer noch einen Sonderantrag stellen, falls er das für nötig erachten sollte. Er lächelte Miss Calthrop so herzlich an, als wäre sie absolut kooperativ gewesen, und probierte es von einer anderen Seite.
»Haben Sie schon viele ... Klienten ins alte Pfarrhaus geschickt, Miss Calthrop?«
»Während der letzten zehn Jahre, ja. Bedauerlicherweise hat das nicht auf alle eine positive Wirkung gehabt. Einige haben sogar das Vertrauen der Lawrences missbraucht.«
»Nein«, sagte Sergeant Troy mit angehaltenem Atem. Er hatte erst vor, diese gespielte Verblüffung noch eine Weile aufrechtzuerhalten, doch dann fiel ihm ein, wie der Chef an ihm rumgemeckert hatte, von wegen Gesprächspartner verprellen.
»Ich weiß, das ist schwer zu verstehen«, sagte Vivienne Calthrop. »Man sollte erwarten, dass sie so dankbar sind, dass sie jede Gelegenheit ergreifen, ihr Leben zu verändern. Aber leider scheint das in den seltensten Fällen so zu funktionieren.«
»Das ist sehr traurig«, sagte Barnaby. Und meinte es auch.
»Sie sind wie Tiere, verstehen Sie, die nie etwas anderes gekannt haben als Grausamkeit und Vernachlässigung. Plötzliche Freundlichkeit wird häufig mit Misstrauen oder Ungläubigkeit betrachtet. Oder sogar mit Verachtung. Natürlich«, sie lächelte, »haben wir auch unsere Erfolge.«
»Die kleine Cheryl zum Beispiel?«, fragte Barnaby. Und in das anschließende Schweigen hinein: »Tut mit Leid. Ist wohl vertraulich?«
»Allerdings, Chief Inspector.«
»Was ist mit Terry Jackson?«
»Keiner von unseren.«
Barnaby sah sie überrascht an.
»Lionel sitzt in mindestens zwei Rehabilitierungsausschüssen. Er könnte den jungen Mann auf diese Weise kennen gelernt haben.«
»Sind die eigentlich alle jung?«, fragte Sergeant Troy. »Diese Leute, die Mr. L aufnimmt.«
Miss Calthrop starrte ihn an. »Was wollen Sie denn damit unterstellen?«
»War nur eine Frage.« Troy erinnerte sich, dass der Chef sich vor ein paar Tagen die gleiche Frage gestellt hatte. »Nichts für ungut.«
»Lionel Lawrence ist ein Heiliger auf Erden.« Miss Calthrops Fettmassen gerieten in Bewegung und hoben und senkten sich bebend wie ein Berg vor dem Ausbruch. Ihre wunderbare Stimme nahm ein vulkanisches Grollen an. »Dass seine Frau keine Kinder kriegen kann, ist eine Tragödie. Ist es da verwunderlich, dass er väterliche Neigungen hat?«
»Nun ja, ich glaube, das ist...« Barnaby, der dabei war aufzustehen, wurde unterbrochen.
»Und jetzt sind sie alt...«
»Alt?«, sagte Sergeant Troy. »Mrs. Lawrence ist doch nicht alt. Höchstens fünfunddreißig.«
»Acht...«
»Und sieht außerdem gut aus.« Auf dem Weg zur Tür blieb Troy an dem klebrigen weißen Tisch stehen und linste in die Amaretti-Dose. Sie war voller Gummibänder. »Schlank, blond. Schöne...«
»Öffnen Sie die Tür, Sergeant.«
Miss Calthrop bebte immer noch gewaltig, als der DCI sich bei ihr bedankte und die beiden Männer hinausgingen.
Als sie ins Auto stiegen, sagte Troy: »Apropos gut gebaut. Ich wette, ein Bein von der wiegt mehr als unser Gartenschuppen.« Und als keine Antwort kam: »Heute treffen wir aber wirklich Typen.«
»Die treffen wir die ganze Zeit, Sergeant. Das Problem mit Ihnen ist, dass Sie keinen Sinn für Exzentriker haben.«
»Wenn Sie meinen, Sir.«
Keinen Sinn, ha! Wie soll man denn für so was einen Sinn haben? Was Sergeant Troy betraf, so war Exzentriker nur ein tuntiges Wort für Verrückte. Er mochte Leute, die sich in vorhersagbaren Bahnen bewegten. Wer nicht so war, warf den anderen nur Knüppel zwischen die Beine und machte ihnen das Leben schwer. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss und ließ angeberisch und völlig unnötig den Motor aufheulen. Dann fragte er, ob sie gleich zu der Adresse fahren sollten, die Miss Calthrop ihnen gegeben hatte.
»Könnten wir eigentlich.«
»Gut. Ich fahr gern in London. Ist 'ne echte Herausforderung.«
Barnaby zuckte zusammen. Als sie dann losfuhren, wanderten seine Gedanken wieder zu Vivienne Calthrop. Ihr hübsches Gesicht - blaue Augen, eine perfekte kleine Nase und weiche rosige Lippen - ging in einem Meer aus wabbeligem Fett und mehreren Doppelkinnen unter. Das wunderbare hennarote Haar fiel ihr über die Schultern, und die Augenbrauen waren passend dazu gefärbt. Diese Augenbrauen
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