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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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erstochen wurde. Bei Leuten, die eines gewaltsamen Todes sterben, kann die Totenstarre durchaus früher einsetzen und auch rascher abklingen. Sagen wir, über den Daumen gepeilt, dreizehn, vierzehn Stunden.» Er zog sich die Gummihandschuhe aus, packte seine Instrumente zusammen und sagte trocken: «Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie die Leiche minus Sarg abliefern würden. Danke.» Damit ging er.
    Zwei Träger kamen mit einer Bahre und einer Polyäthylenfolie herein. Trueblood schloß die Augen, als sie sich den schmalen Gang entlangschoben und dabei mit der Bahre an einem Kommodensekretär aus Rosenholz entlangschrammten.
     
     
    Nachdem Constable Pluck seinen Schreibtisch an Superintendent Pratt im besonderen und seine aus einem einzigen Raum bestehende Polizeiwache an die Polizei von Northants im allgemeinen abgetreten hatte – ganz zu schweigen von Scotland Yard –, hatte er sich an zentraler Stelle postiert und schien die Situation in vollen Zügen zu genießen. Und als Pratt ihn fragte, ob er Simon Leans Frau kenne, hatte der Wachtmeister geantwortet, er kenne die Leute von Watermeadows so gut wie alle hier. Was die reine Wahrheit war; da sie jedoch niemand recht zu kennen schien, befand sich Pluck plötzlich in der mißlichen Lage, den Mittelsmann spielen zu müssen.
    Pratt schob ihm das Telefon zu. «Dann rufen Sie in diesem Watermeadows an, und teilen Sie dort mit, daß die Polizei sich gern mit Mrs. Lean und ihrer Großmutter unterhalten hätte.»
    Und zu Jury sagte er: «Sie haben verflixt wenig gesagt, Superintendent.»
    «Hab auch verflixt wenig Lust dazu. Das hier ist nicht mein Revier. Und außerdem», setzte er lächelnd hinzu, «bin ich im Urlaub.»
    MacAllister warf ihm einen Blick zu, der besagte, da solle er auch lieber bleiben.
    «Sieht mir mehr nach einer Dienstreise aus.» Charles Pratt stützte das Kinn in die Hände und warf Jury einen stechenden Blick aus blauen Augen zu. «Wenn ich nicht das große Los gezogen habe! Einen besseren Zeugen hätte ich mir gar nicht wünschen können.» Er lächelte immer noch, lehnte sich zurück und wippte ein wenig mit dem Drehstuhl. «Gerade hat man uns von einem scheußlichen Mordfall daheim in Northampton abgezogen. Zeitraubend, die halbe Polizeitruppe ist dafür im Einsatz.» Er machte eine Pause. «Ich nehme meine Männer mit und überbringe ihr die Nachricht. Ich würde es begrüßen, wenn Sie später noch mal vorbeischauen würden …»
    «Noch mal vorbeischauen.» Jury seufzte. «Entweder das, oder ich muß mich für eine Vernehmung – wie wir im Dienst zu sagen pflegen – zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung halten. Charles, schämen Sie sich denn gar nicht? Es muß sowieso ans Präsidium durchgegeben werden –»
    Es klang, als ob Pratt lediglich Jurys Satz beendete: «– und Chief Superintendent Racer hat nach ein, zwei bissigen Bemerkungen, daß es immer genau dort, wo Sie auftauchen, einen Mord gibt, gesagt, das mindeste, was Sie dabei tun könnten, wäre, uns zu helfen. Mit seinen Worten, die Polizei von Northamptonshire kann über Sie verfügen, und er bedauert es sehr –»
    «– daß er damit meine Urlaubspläne durchkreuzen muß. Das Leben eines Polizisten ist dornenvoll, Superintendent Pratt.»
    Pratt riß eine Packung Benson & Hedges auf. «Haarscharf seine Worte. Rauchen Sie?»

8
    «W OLLTE DER M ÖRDER », fragte Melrose und musterte dabei das zottige Hinterteil eines zinnfarbenen Hundes, der sich vor Marshall Truebloods Kamin zusammengerollt hatte, «die Tat vertuschen oder aufdecken? Du meine Güte, es lag doch auf der Hand, daß Marshall die Leiche finden würde, sowie er den Schreibschrank aufklappte.»
    «O wie wahr, wie wahr, mein Lieber.» Die Worte klangen gedämpft, da Marshall Trueblood das Gesicht in der Rückenlehne eines elfenbeinfarbenen Brokatsofas barg. Er lag zusammengerollt da und umschlang den Leib mit den Armen. «Und zu allem Überfluß habe ich meinen Ulysses nicht bekommen.»
    «Schluß damit», sagte Melrose. «Setzen Sie sich hin wie ein Mann.» Melrose verlieh seiner Bemerkung Nachdruck, indem er mit seinem Spazierstock auf den Couchtisch klopfte.
    «Das erste Mal, daß man dergleichen von mir verlangt.» Jury lächelte, als Trueblood einen tiefen Seufzer ausstieß, seine Fötusstellung aufgab und sich aufsetzte. Sein Haar war zerzaust, sein Seidenhemd zerknittert, und sein Schal hing herunter.
    «Dies», sagte Melrose, «ist auch das erste Mal, daß ich Sie nicht tipptopp in Schale sehe.

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