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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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an der Decke hing ein klotziger Kristallüster herab, und in jeder Ecke ragten dorische Marmorsäulen empor, als brauche der Raum zusätzliche Abstützung. Hinter der kargen Möblierung gingen hohe Fenster ohne Vorhänge auf eine Terrasse, die fast als Bühne für die Weitläufigkeit des Gartens dienen konnte. Jenseits der Terrasse gab es künstliche Wasserbecken, die jedoch leer waren. An jeder Seite des Beckens standen halbbekleidete Frauenstatuen; eine mit einer Girlande, die andere mit einem Blumenstrauß. Beide hoben ein wenig den Rock, die Zehen ausgestreckt, als wollten sie diese wie marmorne Frühlingsboten ins Wasser tauchen.
    Er wandte die Augen vom Licht und blickte in das gruftartige Dunkel das Raums. Wohltuend für das Auge, niederdrückend für das Gemüt. Es erinnerte ihn an jene Luxuspaläste, die man immer in alten Kriegsfilmen zu sehen bekam, Appartements, aus denen die Wohlhabenden mit ihrem Nötigsten geflogen waren, ehe der Feind Einzug hielt.
    Für Jury war das eine Umgebung, die er mehr als alles andere zu fürchten gelernt hatte, und dabei wußte er nicht einmal genau warum. Fürchtete er die geisterhafte Eleganz, die Reste ehemaliger Schönheit oder die zerstückelte Vergangenheit?
     
    Crick kehrte zurück und meldete, daß Lady Summerston ihn jetzt empfangen würde.
    Wie alles übrige war auch Cricks Stimme dünn und zittrig. Während er Jury zu ihrem Zimmer führte, beschrieb er Lady Summerston als eine recht gebrechliche Dame, die es «ein wenig am Herzen» habe und nur selten ihr Zimmer verlasse. Es sei nichts furchtbar Ernstes, aber so gehe es eben, wenn man älter werde, fuhr Crick fort, wobei er sich offenbar ausnahm – er, dessen waffeldünne Lippen, eingesunkene Augen und Puterfalten ihn fraglos zur geeigneten Gesellschaft für die Lady machten, der er so ergeben diente.
    Das alles teilte er Jury mit, während er ihm auf der geschwungenen Treppe voranschritt. Im Verlauf ihrer Bergtour murmelte er etwas von «dieser Sache, dieser Sache» vor sich hin, ohne jedoch den Mord an Mr. Lean direkt anzusprechen. «Diese Sache» hatte Lady Summerston natürlich sehr mitgenommen, die Polizei im Haus und Vernehmungen und wie sie das alte Sommerhaus mit Beschlag belegt hatten. Im Gegensatz zu seinem formellen Anzug – alter, schwarzer Cut und gestärkter Kragen – war sein Benehmen ausgesprochen unkonventionell, denn Crick war die reinste Plaudertasche, und dabei rang er immer heftiger nach Luft, je weiter sie nach oben kamen. Er war in der Tat recht mitteilsam, was den Mord anging, und recht mitteilsam in seiner eigenen Beurteilung von Mr. Lean – «bei aller Hochachtung», von der man wenig spürte, fand Jury. Im Verlauf ihrer alpinen Kraxelei (würden sie denn nie oben ankommen?) erfuhr Jury ziemlich detailliert, daß Simon ein Emporkömmling gewesen war und daß er Crick jedenfalls nicht fehlen würde, ebensowenig wie das Möbelstück … «Dieses erbärmliche Exemplar eines secrétaire à abattant aus dem achtzehnten Jahrhundert.»
    Sie hatten die halsbrecherischen Höhen des oberen Stockwerks erklommen, und Jury war froh, daß Trueblood Crick nicht hatte hören können.
    Jury gratulierte Crick dazu, daß er diese Treppenflucht mehrmals am Tag und mit einem Tablett in der Hand bewältigte. Crick erzählte ihm, es gebe auch einen Fahrstuhl, aber er habe eine Abneigung gegen solch neumodische Technik, und ein bißchen Sport wirke doch Wunder, wenn man in Hochform bleiben wolle, nicht wahr? Dieser Apparat (wie er ihn nannte, während er den Flur entlang deutete) war ein alter, schmiedeeiserner, goldgestrichener Käfig und zeugte kaum von technischem Fortschritt. Nahe am oberen Ende der Treppe hing in einer dämmrigen Nische das Porträt einer jungen Frau mit dunklem Haar und dunklen Augen, die auf einer Bank in den Gartenanlagen von Watermeadows saß. Das sei Mrs. Lean, erklärte Crick, vor zehn Jahren gemalt, doch anscheinend verändere sie sich überhaupt nicht.
    Nun ging es den dunklen Flur entlang. Ein kurzes Klopfen an der Tür am Ende des Ganges wurde von drinnen mit einem «Herein!» beantwortet.
     
     
    Lady Summerstons Zimmer, besser ihre Zimmerflucht (denn man führte ihn in ein Wohnzimmer), quoll über vor viktorianischen Krimskrams, der es eindeutig an Qualität nicht mit der restlichen Ausstattung des prächtigen Hauses aufnehmen konnte.
    Sie selbst saß draußen auf dem Balkon, der auf die Gärten hinter dem Haus und den halbmondförmigen, in der Ferne schimmernden See

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