Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
umbrachte. Theo Wrenn Browne? Der Diebstahl des Buches diente ihm vielleicht, wie die weißen Blumen der weißen Katze, als Tarnung für Mord. Und die Waffe war zur Hand gewesen. Andererseits hätte es Willie Cooper zufolge Sadie Diver so gerade schaffen können, beide umzubringen. Wenn sie jetzt Mrs. Leans Identität übernommen hatte, konnte sie auch das Vermögen übernehmen, das dazugehörte. Weitaus mehr Geld und weitaus weniger Gefahr. Simon Lean hatte wenig Skrupel gekannt, wenn es darum ging, sich eine Ehefrau vom Hals zu schaffen. Welche Ironie: Lean arbeitet den Plan bis in alle Einzelheiten aus, und Sadie macht ihn sich zunutze.
    Aber es wäre der blanke Wahnsinn gewesen, wenn Sadie Diver in jener Nacht im Sommerhaus Simon Lean ermordet hätte. Damit lud sie sich doch im Nu die Polizei auf den Hals. Warum also nicht ein wenig warten, bis sein Tod wie ein Unfall aussah oder, besser noch, sie behaupten konnte, er hätte sich einfach abgesetzt. Womöglich mit einem Teil des Lean-Vermögens. Niemand wäre überrascht gewesen, wenn Simon Lean etwas getan hätte, was ins Charakterbild paßte. Gründe für sein Verschwinden hätte sie reichlich vorbringen können, denn Simon wäre ja nicht dagewesen, um zu widersprechen …
    Er beobachtete die weiße Katze, die auf eine neue Chance wartete, den Vogel zu fangen, und so reglos dasaß wie eine Statue. Er wünschte sich auch soviel Geduld, damit er die erste flüchtige Bewegung, die auf des Rätsels Lösung hinweisen würde, erkennen konnte. Seine Theorie, daß Sadie Simon Lean umgebracht hatte, war entweder völlig daneben, oder irgend etwas war furchtbar schiefgegangen.
    Die weiße Katze straffte sich und machte einen Satz auf die Steinschüssel zu. Vorbei. Der Vogel flog davon.
     
     
    Crick öffnete ihm die Tür und legte die magere Hand hinters Ohr, als Jury ihn etwas fragte. Nein, Miss Hannah habe er heute überhaupt noch nicht gesehen, in den letzten Tagen sowieso nicht viel. Und wenn, dann nur aus der Ferne. Miss Hannah sorge doch selbst für sich.
    Diese Fragen beantwortete Crick in seiner eigenartig geschwätzigen Weise, während er sich mit Jury im Gefolge auf die Kraxeltour begab.
    Nichts hatte sich verändert. Der gleiche Gedanke war ihm auch schon im Sommerhaus gekommen. Im Geist näherte er sich Watermeadows über eine Distanz von vielen Jahren, so wie er sich über die weitläufigen Rasenflächen genähert hatte. Ein Ort, den er nicht vor zwei Tagen, sondern vor zwei Jahrzehnten gesehen hatte. Und in dieser Zeit war die Hausherrin grau, ein Mädchen erwachsen, ein Butler taub geworden. Und eine weitere Erkenntnis verstörte ihn: die Hauptfigur auf Watermeadows war eine Betrügerin. Er hatte die Orientierung verloren; die Zeit verschwamm. Es war, als hätte er sie alle früher schon gekannt und würde nun Vergleiche anstellen. Und das war auch der wahre Grund, weshalb es ihm im Garten kalt den Rücken heruntergelaufen war: die Frau von gestern hatte sich ihm tief eingeprägt. Immer wieder mußte er sich ins Gedächtnis rufen, daß er Hannah Lean womöglich noch nie gesehen hatte.
    Der Umschlag wurde feucht, als er danach tastete. Oben an der Treppe blieb Jury stehen und betrachtete Hannahs Porträt. Man hätte es nicht abnehmen können, ohne daß es jemandem aufgefallen wäre. Nur dieses Bild und die Skizze im Sommerhaus und vielleicht ein paar Schnappschüsse in Eleanor Summerstons Fotoalben blieben übrig, falls man Vergleiche ziehen wollte.
    Crick, der hinter ihm stand, verstärkte noch Jurys mulmige Gefühle, als er sagte: «Wird ihr nicht sehr gerecht, finden Sie nicht auch, Sir? Oh, nichts gegen den Künstler, aber ich habe ihn immer etwas modisch gefunden. Mr. Sargent dagegen habe ich schon immer gemocht. Nein, er hat Miss Hannah wirklich nicht ganz getroffen.»
    In der Bewegung glitten Lichtspuren über das Bild, die Ölfarbe kräuselte sich, und Jury meinte, ein Gesicht unter Wasser zu sehen.
     
     
    Sie saß an ihrem Tisch auf dem Balkon und sagte, ohne sich umzublicken: «Da sind Sie ja wieder. Na ja, besser Sie als dieser gräßliche Mensch aus Northampton. Irgend so ein schottischer Name. Das ist alles, Crick.»
    Damit war Crick wie gewohnt entlassen, er verbeugte sich hinter Lady Summerstons Rücken und ging. Jury war überzeugt, daß beide Gewinn aus dieser Förmlichkeit zogen; sie schien ein Bollwerk gegen die dahinschwindenden Jahre, gegen Alter und Tod, und gewährleistete, daß ihre Beziehung nicht auf das Niveau maroder

Weitere Kostenlose Bücher