Inspector Jury besucht alte Damen
weiß, manche mögen’s vielleicht so.» Jetzt fuhr er sich über sein schütteres Haar, brachte dabei die kunstvoll über einer kahlen Stelle angeordneten Strähnen durcheinander und machte mit Watermeadows weiter. «Da gibt es nämlich nur die drei. Kein richtiges Personal, und das bei so einem großen Haus. Bloß der alte Butler und der Gärtner, der ab und an kommt, wenn ihm danach ist. Wohnt hier an der Straße. Joe Bream, so heißt er. Seine Jewel hilft mir beim Kochen, wenn’s hier heiß hergeht. Die geht viermal die Woche nach Watermeadows, und in der übrigen Zeit leben sie dort wohl von den Resten. Ein richtiges Spukhaus, sagt sie. Meistens sieht sie keine Menschenseele. Die Frau bleibt für sich und die alte Lady auch. Jewel hat mir erzählt, das erinnert sie an diesen Horrorfilm, wo jeder über Mutter redet, aber gar keine da ist. Da werden bloß die Seelen der Leute in dieses Zimmer gesaugt oder so. Richtig unheimlich ist das, sagt Jewel.»
Bei der Vorstellung, Lady Summerstons Zimmer könnten Menschen die Seele aussaugen, mußte Jury lächeln. «Erzählen Sie Mrs. Bream doch mal, daß es Lady Summerston wirklich gibt. Sie sagen, diese Jewel kocht für Sie?» Jury schrieb etwas in sein kleines Notizbuch. Als Sly nickte, fragte er: «Dann hat also sie dieses köstliche Gericht zubereitet?» Er wies mit dem Kopf auf den Teller und steckte den Kugelschreiber wieder ein.
«Nein, das nun auch wieder nicht. Das Kibbi Bi-Saniyyi mache ich selbst, und wenn Sie mich fragen, besser kriegen Sie es nicht von hier bis zum Libanon.»
«Ich krieche auf den Knien hin», sagte Melrose.
Jury lächelte. «Es ist sehr gut, Mr. Sly. Sehr … exotisch.»
Trevor Sly wand sich etwas bei dem Kompliment und ließ sich vom Hocker gleiten. «Es ist ein Vergnügen, es für jemanden zuzubereiten, der gutes Essen zu schätzen weiß, Mr. Jury. Die Briten hängen zu sehr an Roastbeef und Kartoffeln. Jetzt müssen Sie aber noch meine Kairo-Flamme probieren, nur einen kleinen Schluck.» Es hantierte an den Zapfhähnen.
«Er ist schon sternhagelvoll», sagte Melrose, zückte sein Zigarettenetui und reichte es herum.
«Leider reicht die Zeit auch nur für einen kleinen Schluck», sagte Jury. «Wir müssen uns auf den Weg machen.» Er griff nach seinem Notizbuch.
Vor ihm wurde ein eigentümlich sämiges Gebräu abgesetzt, und Jury trank den Schluck zu schnell. Ein Gefühl, wie es Sergeant Wiggins für einen Asthmaanfall beschrieb: Anstatt frei atmen zu können, schienen ihm zwei Bretter die Luftröhre immer enger zusammenzupressen. Er sagte mit belegter Stimme: «Ein wunderbares Getränk für Schwertschlucker, Mr. Sly.»
Trevor Sly strahlte und meinte: «Ich sag’s ja, meine Kairo-Flamme übertrifft jede Medizin. Pustet die Stirnhöhle besser durch als extrascharfer Senf.» Er schnippte mit den Fingern.
«Mein Sergeant wäre davon sicher hin und weg», sagte Jury.
13
«W RENNS B ÜCHERNEST » war der vergoldeten Kursivschrift unter dem Namen zufolge auf antiquarische Bücher und Buchbinderei spezialisiert. Es befand sich in einer ehemaligen Autowerkstatt. Die Fassade jenes Geschäfts hatte früher aus einer grün-verblichenen und schmierigen Garagentür bestanden, die ständig offenstand. Dazu ein ewig schlafender Wachhund nebst Petunien in einem braunen Eimer, die stets kurz vor dem Vertrocknen waren. Der Eigentümer hatte sie dort hingestellt, um den Laden ein bißchen aufzupeppen – er hielt sich nämlich für ein As in Dekorationsfragen.
Aber Melrose hatte das weit mehr geschätzt als das aufgemotzte, weißgetünchte, mit schwarzen Balken verzierte Äußere von Theo Wrenn Brownes renoviertem Geschäft. Die Lage war für Theo Brownes Zwecke ideal, da sich sein Laden auf der High Street befand; gegenüber von Truebloods Antiquitäten (ebenso rundbogig, jedoch angenehm ausgereift und echt Tudor) und Wand an Wand mit Miss Crisps Trödelladen, den Browne zu gerne übernommen hätte. Zwei Häuser weiter auf der anderen Seite war die Schlachterei, deren kleine Problemchen Stadtgespräch gewesen waren, bis jetzt etwas viel Interessanteres sie abgelöst hatte.
Auf dem Weg zum Schaufenster hätte er beinahe die große Schale mit Alpenveilchen umgestoßen. Nun starrten sie beide auf die Auslage. Jury meinte, der Antiquariatsbesitzer verstünde etwas von Erstausgaben, aber ebenso offensichtlich wüßte er, wo sein Weizen blühe.
«Der hat von nichts eine Ahnung», sagte Melrose. «Ganz sicher nicht von Büchern, und das ist auch
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