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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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das Glas auf dem anderen. «Sie könnte übers Moor gehen –»
    «Über die Fens von East Anglia», sagte Melrose.
    «Oder über die Broads von Norfolk. Oder durch die Marsch. Die kommt wohl am ehesten hin. Ich bin noch nie im Leben in Norfolk gewesen, von East Anglia ganz zu schweigen, aber ist ja auch egal. Sie könnte quatsch, quatsch durch –»
    «Hmm. Nein, erzählen Sie es so, als ob Sie es schreiben würden. Nicht mit ‹sie›, sondern mit ‹Heather›.» Jury bot Zigaretten an. Da merkte sie, daß sie noch nicht eingeschenkt hatte, und holte es recht geschickt, immer noch Karaffe und Gläser balancierend, nach. So jongliert sie wahrscheinlich auch mit ihren verschiedenen Pseudonymen, dachte Melrose und nahm seinen Sherry entgegen.
    Joanna ließ sich Heathers Problem offenbar durch den Kopf gehen, während sie ihr Glas Sherry mit einem Zug kippte, sich erneut einschenkte und dann mit der Karaffe in der Hand aufstand.
    «Nun denn: ‹Heather zog sich die Gummistiefel aus; der Weg durch die Marsch war scheußlich gewesen. Sie sah sich in dem Häuschen um, dem schönen, alten Häuschen hier draußen am Ende der Welt, und blickte auf die Uhr. Zehn. Hatte David nicht zehn Uhr gesagt? Sie war verärgert – nein, sie war richtig wütend. Wann war jemals Verlaß auf ihn gewesen?›» Joanna nahm wieder Platz auf dem Kamingitter und fuhr mit geschlossenen Augen fort: «‹Schon rannen ihr die Tränen aus den meergrünen Augen. Nur das nicht, dachte sie und wischte sie fort, musterte die Portweinflasche und goß sich einen Schluck ein. Ein Gläschen konnte sicherlich nicht schaden …›» Offenbar freute sich Joanna, daß ihr zu der Handlung etwas Neues eingefallen war, denn sie lächelte, stand auf und schwang die Karaffe, um damit ihre Gedankengänge zu unterstreichen. «‹Dieser verfluchte David!› … Nein, nennen wir ihn lieber Jasper –»
    Bloß nicht Melrose, dachte Melrose, und streckte sein Glas der hin und her schwingenden Karaffe entgegen. Du meine Güte, wie konnte Jury bloß so fasziniert dreinschauen?
    «‹Dieser verfluchte Jasper! Wie lange sollte ihr Verhältnis noch weitergehen? Wie lange wollte sie sich noch von ihm ausnutzen lassen? Die Versprechungen, die er ihr gemacht hatte … Gewöhnlich betrachtete Heather die Welt mit Augen, so ruhig und kühl wie der schiefergraue Ozean –›»
    «Meergrün.»
    «Was?» Sie tauchte gerade lange genug aus ihrer Trance auf, um Melrose anzublinzeln.
    «Vorhin haben Sie gesagt, daß sie meergrüne Augen hat.» Melrose hegte den Verdacht, sie würde seine eigenen Augen als ‹smaragden funkelnd› bezeichnen. Er lächelte, vermied jedoch Jurys finsteren Blick.
    Joanna lachte. «Ach ja, mit Augen, Haaren und dergleichen Äußerlichkeiten tue ich mich schwer.»
    «Mr. Plant ist sich wohl nicht bewußt, daß derlei ablenkende Bemerkungen den Kreativitätsfluß stark hemmen können», sagte Jury.
    Melrose sah, wie Jury Joanna mit wahrhaft schiefergrauen Augen anblickte, einem sehr wandelbaren Grau jedoch. Im Augenblick sahen sie gewittergrau aus.
    «Oh, aber Sie scheinen das zu wissen, Mr. Jury.»
    «Gewiß. Ich gedenke, meine Memoiren zu schreiben.» Joannas Kinnlade klappte herunter, und schon wollte sie sich dazu äußern, doch er hob die Hand. «Darüber können wir uns ein andermal unterhalten. Kehren wir zu Heather zurück.»
    «Heather. Na gut, sie trinkt ihren Portwein, ist wütend auf David … Jasper …»
    Melrose biß sich auf die Zunge. Ob Polly Praed auch so arbeitete?
    «‹Heather war das Herumsitzen und Warten leid. Sollte er doch denken, daß sie einfach nicht gekommen war. Sie zog sich die Gummistiefel an und band den Gürtel ihres Burberry zu.›»
    Gottseidank, sie macht sich auf die Socken; wir hoffentlich auch bald.
    «‹Sie würde einfach querfeldein durch die scheußliche Marsch zum Pub zurückgehen … dem Gasthof, in dem sie sich ein Zimmer genommen hatte, denn insgeheim hatte sie die ganze Zeit damit gerechnet, daß Jasper nicht kommen würde. Der Gasthof hatte ihr von Anfang an nicht gefallen; der Wirt schien ein elendiges Klatschmaul zu sein und würde sicher alles über sie ausposaunen –›»
    Wer weiß, wer weiß, dachte Melrose bei sich.
    «‹Und in diesem Moment sah sie den Fleck auf dem Teppich. Als sie ihn genauer untersuchte, merkte sie, daß es ein Rinnsal war, das von dem … Schrank herkam.› Nein … ‹Als sie die Gummistiefel anzog, sah sie, daß vom Schrank her ein dunkles Rinnsal über den Läufer floß. Blut

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