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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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es war sonst niemand da, den ich fragen konnte. Ich bin ihr Bruder.»
    «Dachte ich mir schon», sagte sie und blickte auf ihre kleine Armbanduhr. «Sie sitzt wahrscheinlich in den ‹Fünf Glocken›. Ist ja noch nicht mal elf.»
    Jetzt runzelte auch Tommy die Stirn. Für ihn war zehn spät; er stand immer schon mit den Hühnern auf. Er trat unruhig auf dem kalten Linoleum hin und her. «Ja, aber …» Er wußte nicht, was er sagen, was er fragen sollte. «Kennen Sie sie denn?»
    «Nicht mit Namen. Kann sein, daß ich sie mal gesehen hab.» Sie gähnte und fuhr sich mit den Händen durch das altgoldene Haar, blickte ihn an und kniff die Augen zusammen, die personifizierte Langeweile.
    «Sie meinen also, ich sollte mal hingehen in die –?»
    «‹Fünf Glocken›? Aber das ist nicht der einzige Pub …» Sie verstummte, hatte kein Interesse.
    «Komisch.»
    «Wieso komisch?»
    Tommy dachte ein wenig nach. «Ja, wirklich komisch.»
    «Also, wieso ist das … ach, zum Teufel, du kannst ebensogut reinkommen. Kannst du Sicherungen reparieren? Ich habe kein Licht, bloß dieses blöde Ding hier.» Sie hielt die Lampe hoch. «Der Strom ist schon eine ganze Weile weg. Anscheinend nicht in der ganzen Straße, denn die Straßenlaterne da brennt ja noch.» In ihrer Stimme schwang kindlicher Groll mit. «Kannst du nun eine Sicherung reparieren?»
    Tommy blickte sie nur an. Klar, wer so hübsch war, mußte wohl dumm sein. Er runzelte die Stirn. «Sie meinen, ob ich eine auswechseln kann. Sicherungen ‹repariert› man eigentlich nicht. Man dreht sie raus und dreht rumsbums eine neue –»
    «Von mir aus kann rumbumsen wer will, Hauptsache, du sorgst dafür, daß ich endlich wieder Licht habe.»
    Wieso ist die eigentlich so sauer, dachte Tommy. Schließlich kam er doch ihr zu Hilfe, und sie machte ihrerseits nicht gerade den Eindruck, als würde sie sich seinetwegen ein Bein ausreißen. Er schob seine Mütze in die lasche und den Koffer über die Schwelle und sagte: «Jeder Mann kann eine Sicherung auswechseln», nur damit sie wußte, daß es doch noch Unterschiede zwischen Männern und Frauen gab.
    Mit dem, was sich «Emanzipation» nannte, hatte er nicht viel im Sinn. Ihm war noch kein Mädchen untergekommen, das eine Sicherung auswechseln konnte.
    Sie führte ihn durch ein Zimmer von der Größe eines Sees. Die riesigen Fenster, die auf den Fluß gingen, warfen das Licht ihrer Taschenlampe zurück und vermittelten ihm den gespenstischen Eindruck, als wollte ihn jemand von draußen aufs Korn nehmen. Für Notfälle trug Tommy immer eine kleine Taschenlampe am Gürtel. In dem Haus in Gravesend gab es ein Unglück nach dem anderen – Glühbirnen platzten, als ob jemand sie zerschossen hätte, Kühlschrank und Herd gingen entzwei, Rollos schnellten hoch, wie von unsichtbaren Händen gezogen. Der Lichtstrahl war dünn, aber hell, und tanzte auf dem Emaille und Chrom in der Küche.
    Der Sicherungskasten war in der Speisekammer, die von der Küche abging. Er ließ den Lichtkegel über die obere Kante gleiten; da lagen mindestens ein gutes Dutzend Sicherungen herum, verschiedene Stärken, verschiedenfarbige Spitzen, wahrscheinlich nicht zu gebrauchen. Im Dunkeln war das schwer auszumachen.
    «Und was haben wir hier?» fragte er, holte eine herunter und prüfte die gläserne Spitze. Sie richtete die Taschenlampe auf den Kasten.
    «Sicherungen. Sehen mir verrostet aus. Waren schon da, als ich eingezogen bin.» Ihr Licht fuhr ungeduldig hin und her. «Ich hab gedacht, ach was soll’s, und bin einfach ins Bett.»
    Tommy schüttelte den Kopf. Einfach ins Bett. Die dachte wohl, des Nachts kommen Heinzelmännchen, sehen die Sicherungen durch und drehen neue rein. Bei dem Geld, das die anscheinend für die Wohnung geblecht hatte, wieso hatte sie da nicht wenigstens einen Stromunterbrecher? Er fragte sie.
    «Einen was? Hör mal, mach bloß nicht so ein Gesicht. Wie komm ich denn dazu, die ganze Nacht hier rumzuhocken und sie alle der Reihe nach auszuprobieren? Und die Taschenlampe müßte ich schließlich auch noch halten.»
    «Sie haben zwei Hände.» Die schien tatsächlich darauf gewartet zu haben, daß jemand vorbeikam … Bei all dem Hin und Her hatte er fast vergessen, warum er vorbeigekommen war. «Wie spät ist es jetzt?»
    Sie seufzte, als ob er stundenweise bezahlt kriegte. Dann richtete sie die Taschenlampe auf ihre Armbanduhr. «Fünf vor. Wenn deine Schwester in den Pub gegangen ist, trudelt sie demnächst ein. Kannst du nicht

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