Inspector Jury besucht alte Damen
sie eigenhändig aufgestapelt. Wie auch immer, er war im Sommerhaus.»
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J OANNA L EWES zog die Haustür auf. Unter den Arm hatte sie ein Manuskriptbündel und einen fetten Tausend-Seiten-Bestseller geklemmt, den Melrose schon im Schaufenster vom «Büchernest» gesehen hatte.
Sie blinzelte ihnen entgegen und versuchte, ihre getönte Brille wieder auf die Nase zu schieben, obwohl sie die Hände voll hatte. «Stelle gerade Vergleiche an», sagte sie.
Ob sie damit die beiden Bücher oder die beiden Besucher meinte, war Melrose nicht ganz klar. Ehe er vor einem Jahr ihre Bekanntschaft gemacht hatte, hatte er sich eine Autorin von Liebesromanen immer als eher mollige Matrone, als verblühende, einst hübsche Hausfrau vorgestellt. Joanna Lewes war jedoch dünn wie eine Bohnenstange und neigte eher zu grau als zu fett, obwohl sie die Fünfzig kaum überschritten haben konnte. Direkt unattraktiv war sie nun auch wieder nicht, nur ein wenig abgenutzt, wie eines von Theo Wrenn Brownes alten Büchern, das einen neuen Einband brauchte. Das meiste im Leben hielt sie für Quatsch, ihre Bücher inbegriffen, welche (wie sie oftmals sagte) der reinste Quatsch waren.
Das sagte sie auch jetzt auf Jurys Frage nach ihrer Schriftstellern, und lang und breit erklärte sie es obendrein, während sie von der Haustür über die Diele und dann ins Arbeitszimmer gingen. Die Bibliothek, wie sie der frühere Besitzer gern genannt hatte; der einzige Unterschied bestand darin, daß sie jetzt benutzt aussah. An den Wänden lehnten Säulen aus Büchern, Illustrierten und bucklige Papierstapel, und der Schreibtisch bog sich unter Manuskripten und allem möglichen Schnickschnack, beispielsweise einem Küchenfrosch, der eigentlich einen Topfkratzer halten sollte, dessen gähnendes Maul jedoch als Aschenbecher diente. Eine fast leere Literflasche Johannisbeersaft tropfte in der Unordnung so klebrig vor sich hin wie eine Statue in einem unter Blättern erstickten Teich.
Sie hielt immer noch die Manuskriptseiten umklammert, als sie ihnen einen Platz anbot und sich selbst oben auf das Kamingitter hockte. Wenn Jury doch bloß damit aufhören wollte, sie nach ihrer Arbeit zu fragen, dachte Melrose, man könnte meinen, er will selbst zur Feder greifen. Da stand er, als ob Zeit für ihn keine Rolle spielte und als ob ihm Mord oder andere Scheußlichkeiten völlig fremd wären, und ließ sich über ihre augenfällige Produktivität aus.
Und er bekam, dachte Melrose, die Antwort, die er verdiente – eine, die von hier bis Victoria Street und zurück reichen dürfte. Für eine Frau, die ihre Undurchsichtigkeit pflegte, legte sie ganz schön los, wenn sie erst einmal in die Gänge kam.
«Natürlich habe ich Schwierigkeiten, meine Pseudonyme nicht durcheinanderzubringen. Ramona de la Mer steht für exotischere Milieus – Barbados, Montego Bay, Hongkong, der Himalaja –»
Melrose versuchte sich vorzustellen, wie sich das Pärchen auf dem Umschlag eines ihrer Bücher, zu dem er gegriffen hatte, auf der Suche nach einem Guru einen Weg durch eine Herde Bergziegen bahnte.
«– dann Robin Carnaby; bei der sind die Heldinnen Krankenschwestern oder tun Gutes im australischen Busch; oder sie sind Verkäuferinnen aus eigentlich gutem Hause, deren Familien durch irgendwas ruiniert worden sind. Die anderen beiden, Victoria Plum und Damson Duke, habe ich von Marmeladengläsern. Die passen gut zu englischen Milieus. Verfallene Schlösser, ländliche Herrenhäuser und so weiter. An so einem schreibe ich gerade: die Heldin Valerie ist eine unschuldige – und natürlich reiche – Amerikanerin, die im Flugzeug einen geheimnisvollen – und natürlich noch reicheren – Fremden kennenlernt. Ein Zusammenstoß, so könnte man sagen, zwischen zwei Kulturen. Obwohl ich so meine Zweifel habe, ob das Henry James’ Beifall finden würde, sicherlich nicht, was Matt und Valerie angeht –»
Melrose wunderte sich, warum Jury nicht im Stehen der Schlag traf. Er selbst ließ sich tiefer in seinen Sitz rutschen.
«Wie schaffen Sie das alles? Haben Sie Ihre Pseudonyme schon mal durcheinandergebracht?»
«Natürlich. Einmal habe ich Robin Carnaby ein Krankenhaus-Expose schreiben lassen, in dem eine tolle Ärztin mit nymphomanischen Neigungen – das war für den Verleger, der auf geile Weiber steht – sich in einen Patienten verliebte. Als ich fertig war, ging mir auf, daß es ein Ramona- und kein Robin-Buch war, und so habe ich den Patienten einfach zu einem gutaussehenden
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