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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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unergründlichen Dunkel getätigt werden. Es war, als würde er eine kleinere Höhle betreten, nachdem er den Vorraum zur größeren verlassen hatte. Drinnen stand ein niedriger runder Tisch mit den vertrauten Sternbildern auf dunkelblauem Filz. Auf dem Tisch lag zwischen zwei goldenen Kugeln ein Kristall auf schwarzem Samt. Die Kugeln warfen einen gelblichen Schein, als hielten sich spielende Kinder Butterblumen unters Kinn. Davor lag ein Kartenspiel. Tarot.
    Carole-anne hatte ihren Kuchen hingestellt und ihren Hut aufgesetzt – einen von vielen, Carole-anne besaß nämlich jede Menge Hüte. Dieser war ein kunstvolles, turbanähnliches Gebilde aus Silberlame, um das sich Perlen und zarte Goldketten schlangen (wahrscheinlich von einem Faschingsfest übriggeblieben). Sie hockte sich wie ein Swami auf eines der Kissen, die um den Tisch lagen, die Beine gekreuzt, die Hände gefaltet, und starrte in die Kristallkugel.
    Jury seufzte. Sie versuchte doch nur, sich flink eine glaubhafte Geschichte über den Mord an Madame Zostra auszudenken. Nach zwei Minuten auf diesem Kissen, das wußte Jury, würde ihn sein Rücken schier umbringen. «Wenn sich da binnen zehn Sekunden nichts tut, gehe ich, Herzchen.» Er wäre sowieso nicht hergekommen, wenn es nicht wegen Tommy gewesen wäre.
    Rasch verdeckte sie die Augen mit den beringten Fingern. Lapislazuliringe, die auf die neuen Kunden vom «Starrdust» hinweisen. Andrew Starr hatte einen Haufen Geld für Madame Zostras diverse Requisiten springen lassen. Er war ein Träumer, aber kein Trottel; wahrscheinlich hatte er die Ladenkasse klingeln hören, als er Carole-anne zum erstenmal erblickte. Obwohl Jury ziemlich überzeugt davon war, daß erst sie ihm das ganze Brimborium aufgeschwatzt hatte.
    «Die Aura ist einfach nicht richtig. Sie bringen sie mit Ihren Zweifeln durcheinander.» Anscheinend klang das selbst für ihre Ohren wenig überzeugend, denn sie ließ die Hände wieder sinken, griff nach den Tarotkarten und mischte.
    Jury machte Stielaugen. «Tarot? Carole-anne, diese Karten mischt man doch nicht!»
    Sie hob die Schultern und begann, sie aufzudecken und auf den Tisch zu klatschen. Was sollte das nun werden – Mord, seine Zukunft oder Blackjack? Natürlich tauchte der Gehängte auf, und sie schob ihn ihm zu und sagte: «Er ist –» (sie versuchte, sich an die Anzahl der Morde zu erinnern) – «zweimal dagewesen.» Und schon hatte sie die Karten wieder zusammengeschoben.
    «Nachdem wir das nun geklärt haben, möchte ich, daß Sie sich um Tommy kümmern. Wenn der Laden hier zumacht, nehmen Sie ihn mit nach Hause.»
    «War er das?» Blitzschnell war sie hoch und hatte die Gaze beiseite geschoben. Immer hinein Neuling, den sie vielleicht in die Finger bekommen könnte.
    Die anderen kamen unter Gelächter und Gekicher den schmalen Gang entlang. Die abendliche Pause war vorüber, und Jury konnte vor der Tür eine kleine Traube von Kunden sehen, welche langsam die Ungeduld packte.
    Jury begrüßte Andrew Starr, einen netten, gutaussehenden, jungen Mann, der aus seiner Wahrsagerei viel Geld schlug. Ehe er noch Tommy vorstellen konnte – dem bei Carole-annes Anblick das Kinn herunterfiel –, sagte sie: «Dir wird es hier gut gefallen.» Und schon hatte sie ihn ins Gazezelt entführt.
    Andrew Starr ging nach vorn, schloß die Tür auf, ließ sie hinaus und die Kunden herein.
    Jury überquerte die Straße, auf den Fersen einen widerstrebenden Wiggins, der einen wehmütigen Blick über die Schulter zurückwarf und vermutlich glaubte, seine Zukunft bliebe dort zurück, als Geisel im Horrorskop gefangen, bis jemand mit größerer Weisheit als Scotland Yard sie daraus befreite.
    Wiggins nieste.

16
    D ER T OD VON T OMMYS S CHWESTER hatte mit dem Willen Gottes ebensowenig zu tun wie die Regierung des Haushalts der Mulhollands. In Jurys Augen lag die eindeutig bei John Mulholland und wurde mit eisernem Willen und eiserner Faust von diesem kurzgeratenen und untersetzten Mann geführt, der unentwegt seine Mütze zerknautschte. Die Frau war dünner und größer – eine Sitzriesin – und hatte ein ausdrucksloses Gesicht, so als hatte man ihr gerade einen Gipsverband abgenommen.
    Vielleicht schien das Jury aber auch nur so, denn er war gerade aus dem dunklen Ambiente von Andrews Geschäft in den Vernehmungsraum in Wapping gekommen und hatte sich an dessen grelles Licht noch nicht gewöhnt.
    Mulholland wollte sich nicht setzen, und die schonende und freundliche Begrüßung des

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