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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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siegte über den Wunsch, der Polizei einen Korb zu geben. Er nahm sie und bedankte sich widerwillig. Es war schwer, feindselig und unbeugsam zu bleiben, wenn man mit einem Kerl rumstand und sozusagen die Friedenspfeife mit ihm rauchte. Indem er einem Sergeant die Befragung überließ, signalisierte Jury, daß der Tod seiner Nichte als nicht so brisanter Fall angesehen wurde. Von einem Superintendent waren Zeugen leicht eingeschüchtert. Das hatte Jury nur zu oft feststellen müssen.
    Mrs. Mulholland sprach jetzt über die Zeit, ehe Sarah «auf die schiefe Bahn» geriet.
    «Wie meinen Sie das?» fragte Wiggins. «Oh, sie war wild und viel zu klug, genau wie ihre Mutter. Also Bessie Mulholland. Mein Mädchenname ist Case.» Sie pochte auf Wiggins’ Notizbuch und deutete mit dem Kopf zu ihrem Mann hin. « Seine Schwester.» Der Sergeant sollte ruhig wissen, daß die Familie Case nichts damit zu tun hatte.
    Mulholland hatte dem Fenster den Rücken zugekehrt und nahm den Fehdehandschuh auf. «Die war nicht wie wir übrigen. Ein schwarzes Schaf, die Bessie. Und was deinen Bruder –»
    Wiggins fuhr ihm aalglatt dazwischen. «Ich weiß, was Sie meinen. Ich habe selbst eine Schwester.» Dann fuhr er fort: «Wie ‹schief› war die ‹schiefe Bahn› denn im Fall Ihrer Sadie?»
    «Sarah», sagte die Tante. «Den Namen hat sie aus der Bibel nach –»
    «Rauschgift? Männer?»
    Offenbar fand Mulholland, daß er nun lange genug außen vor gewesen war. «Sie hatte schon alles mögliche angestellt, da war sie noch nicht mal so alt wie Tommy jetzt. Ich glaube, sie hatte soviel Gewissen wie eine Katze. Meiner Lebtage habe ich keinen Menschen gekannt, der einen so an der Nase herumführen konnte wie Sarah. Stand da und log einem die Hucke voll und sah dabei so unschuldig aus wie –»
    «Das muß sie auch. Ich meine, unschuldig ausgesehen haben. Schließlich ist sie bei den Barmherzigen Schwestern untergekommen. Eine Äbtissin führt man nicht so leicht hinters Licht.»
    Verlegenes Schweigen auf der ganzen Linie. Die Mulhollands sahen sich nicht an – er wandte sich wieder zum Fenster; sie fixierte ihre verschränkten Finger.
    «Komisch, daß Ihre Nichte auf ein Kloster verfallen ist, ausgerechnet ein junges Mädchen wie sie.»
    Mulholland wandte Jury das große, kantige Gesicht zu. «Das war eine Abmachung; sie hatte da wenigstens ein Jahr zu bleiben. Entweder das, oder wir hätten sie vor die Tür gesetzt.»
    Seine Frau wand sich auf ihrem Stuhl. «So schlimm hat es noch keine Case getrieben.»
    «Natürlich nicht», sagte ihr Mann. «Wer zum Teufel wäre wohl so scharf auf eine Case gewesen, daß er ihren Schlüpfer –»
    Woraufhin Gladys einen weinerlichen Schrei ausstieß, den Kopf auf die Hände fallen ließ und ihr kleines Taschentuch zu einem winzigen Ball zerweinte. Wiggins bot ihr seins an.
    «Das heißt also, daß Sadie – pardon, Sarah – die Wahl hatte, entweder bei den Barmherzigen Schwestern zu landen oder in der Gosse», sagte Jury.
    «Ganz recht, verdammt noch mal. Und was soll daran falsch sein?» Ein Bulle, der mit den Hufen Sand aufwirbelte, hätte nicht streitbarer aussehen können.
    Er tat Jury irgendwie leid. Weil er für das Kind seiner Schwester hatte sorgen müssen und sich dieses Kind dann als schwierig erwiesen hatte. Das hatte er vermutlich nur schwer verkraftet, konnte man doch daran ablesen, ob er fähig war, Kinder zu anständigen Menschen zu erziehen.
    «Gar nichts. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Ich an Ihrer Stelle hätte wahrscheinlich genauso gehandelt.» Jury nahm keine Notiz von Wiggins’ starrem Blick.
    Keine Reaktion; beide wirkten sie erleichtert, daß er genauso gehandelt hätte.
     
     
    Ganz entschieden einer von Hamlets Totengräbern, dachte Jury. Willie Cooper machte auf Jury immer den Eindruck eines Arztes, der beim Anblick einer Leiche seine Schadenfreude kaum unterdrücken konnte, vor allem dann, wenn Scotland Yard bei der Leichenöffnung dabei war und besonders dann, wenn es Jury war. Vielmehr «R.J.», wie Cooper ihn mit Vorliebe nannte. Jury hatte zugesehen, wie Cooper seine sorgfältigen Abmessungen vornahm, jede Prellung, jeden Kratzer, jeden Fleck verzeichnete, vornehmlich aber die Abschürfungen auf dem Rücken des Opfers. Es gab zwei oberflächliche Messerwunden; der tödliche Stich hatte die Lungenspitze durchbohrt. Gut ein Liter Blut war in den Brustraum gesickert.
    «Eine Schneide», sagte Cooper.
    Für Jury klang das nur allzu vertraut.
    Cooper fuhr fort: «Sie

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