Inspector Jury bricht das Eis
möglichst schlagfertigen Erwiderung suchte.
Das Ergebnis seiner Überlegungen war matt: «Legen Sie sich doch ’ne Katze zu, Jury.» Dann folgte ein dumpfes Geräusch in Racers Büro, und Jury glaubte ein leises, aber drohendes Fauchen zu hören. «Es ist nicht gut, so ganz alleine zu leben. Sie können Fionas Mäusefresser haben.»
«Cyril hängt doch viel zu sehr an Ihnen. Haben Sie mich etwa deswegen angerufen? Weil Sie meine und Cyrils Zukunft mit mir besprechen wollten?» Jury hielt sich den Kopf. Warum fühlte er sich nur so verkatert? Er hatte gestern nicht ein einziges Bier getrunken. Aber vielleicht war der Kirchgang dran schuld. Die Galle kam einem da hoch, das ganze Gift, das man mit sich herumgetragen hatte … Racer ließ unterdessen seinerseits Schmähungen vom Stapel.
«Wie bitte?»
«Ich sagte – wenn Sie sich bloß eine Minute auf das Thema konzentrieren könnten, Mann – dieser Kerl von der Bezirkspolizei Northumberland …»
«Northumbria», berichtigte Jury. «Dazu gehören Northumberland, Sunderland …»
«Ich brauche keinen Geographie-Unterricht. Seitdem Sie es zum Superintendent gebracht haben …»
Das ging etwa eine Minute so weiter. Jurys Beförderung lag dem Chief Superintendent wie ein Stein im Magen. Jury schnitt ihm schließlich das Wort ab. «Sie sagten etwas von einem Mitarbeiter der Polizei von Northumbria, Sir.»
Racer prüfte dieses «Sir» auf Widerhaken, bevor er es schluckte: «Sein Name ist … warten Sie mal.» Papiergeraschel. «Colin Soundso …» Wieder Geraschel.
Jury hörte auf zu gähnen und richtete sich auf, wobei er die Füße auf den Boden stellte. Sein Kopf dröhnte. «Vielleicht Cullen? Sergeant Roy Cullen?»
«Ja, ja, genau», sagte Racer ungeduldig. «Was zum Teufel denkt der, wer ich bin? Ihr Anrufbeantworter?»
Jury kämpfte sich bereits in sein Hemd, wobei ihm die Telefonschnur ständig in die Quere kam. «Würden Sie mir bitte sagen, was für eine Nachricht er hatte, Sir?»
«Ah, hier ist es ja: es geht um eine Frau namens Minton.» Racer wußte sehr gut, was es mit dieser Frau auf sich hatte, aber weil er nicht selbst auf den Fall gestoßen war, ließ er sich nun Zeit. «Helen Minton. Autopsiebericht. Er meinte, es würde Sie interessieren. Sie wurde vergiftet.»
Es knackte in der Leitung, dann war sie tot. Jury starrte auf den Hörer.
V IERTER T EIL
S CHNEEBLIND
10
Schneeflocken rasten wie ein Sperrfeuer von Leuchtspurgeschossen gegen die Windschutzscheibe und nahmen ihnen jede Sicht.
«Wir haben uns verirrt», sagte Lady Ardry, die schon bei den ersten Anzeichen von Schneefall zur Landkarte und einer füllhaltergroßen Taschenlampe gegriffen hatte. Neben ihr auf dem Rücksitz des Flying Spur kauerte Ruthven, eingemummt in seine Reisedecke.
«Red keinen Unsinn, Agatha», sagte Vivian. «Wir haben uns überhaupt nicht verirrt. Wir fahren nur etwas langsamer, weil Charles gesagt hat, wir müßten hier irgendwo abbiegen.»
«Du kannst in diesem Schneesturm nicht fahren, Plant. Du mußt auf der Stelle anhalten.»
Aber wo, das war Melrose ein Rätsel. Es war halb sechs und bereits stockfinster. Er konnte höchstens zwei Meter weit sehen. «Gern, sobald du eine schöne Wiese siehst, wo wir unser Zelt aufschlagen können.» Er wischte die beschlagene Windschutzscheibe mit seinem Lederhandschuh ab.
«Da war eben eine Stelle, wo du von der Straße hättest runterfahren können – was steht auf dem Schild da?» Sie rieb an ihrer Scheibe ein Guckloch frei und spähte hinaus in die tiefe Dunkelheit. «‹Spinney Moor›.» Mit der Taschenlampe verfolgte sie die Straße auf der Landkarte. «Um Himmels willen, Plant, du hast uns mitten in ein Moor kutschiert!»
«Dann sind wir nicht weit von Seainghams Haus. Er meinte, es sei nördlich von Spinneyton», sagte Vivian.
«Sümpfe und Moore sind mir zuwider», sagte Agatha erschauernd.
Melrose steuerte den Wagen sicher durch eine scharfe Kurve und sagte: «Dieses Moor ist in der Tat recht interessant. Kennt ihr die Geschichte vom Schlächter von Spinneyton? Nein? Nun, der Schlächter hat Leute in Stücke gehackt und die Leichenteile in den hiesigen Moorlöchern versenkt.»
«Melrose!» sagte Vivian entsetzt, und Ruthven murmelte: «Also wirklich, Mylord.» Danach herrschte im Auto Totenstille, vielleicht zum erstenmal, seit sie Ardry End verlassen hatten.
«Du versuchst doch nur, uns Angst einzujagen», sagte Agatha. Aber ihre Stimme klang unsicher.
«Nein, wirklich, der Schlächter war
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