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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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liegt, aber sobald ich mal nicht aufpasse, quält er sich die Treppe rauf und kommt wieder hierher. Sie hat nach dem Abendessen immer dort gesessen. Und was für große Stücke sie auf den alten Hund gehalten hat!» Maureen warf dem Dackel einen hilflosen Blick zu. «Er ist fast blind. Er wird bald sterben.» Sie sagte es mit der Entschiedenheit eines Arztes, dessen Diagnose unerschütterlich ist.
     
    Sie standen vor der Tür in der Dunkelheit. Maureen hatte die Arme über der Brust verschränkt und zitterte in ihrer dünnen Uniform. Wiggins drängte sie, doch wieder hineinzugehen, bevor sie sich den Tod holte. Jury blickte über die Straße auf die schlichte Fassade der Church of Scotland. Ihr gelblichweißer Anstrich hatte im Mondlicht etwas ungesund Fahles. Er störte sich an ihrer Schmucklosigkeit. Nicht die Spur einer Verzierung, keine bunten Fensterscheiben, nur diese Krankenzimmerfarbe. Der Gott der Schotten, dachte er voller Widerwillen, hätte sich ruhig etwas mehr Mühe geben können. Diese Presbyterianer, dachte er verächtlich, und fragte sich dann ein wenig beschämt, ob das überhaupt stimmte. Waren wirklich alle Schotten Presbyterianer? Hätte er das nicht wissen sollen? Er war wütend auf sich. Wenigstens soviel Allgemeinbildung mußte ein Superintendent haben. Wußte er denn überhaupt etwas Nützliches? Er konnte sich beim besten Willen auf nichts besinnen. Aber diese eine Frage mußte jetzt und auf der Stelle geklärt werden. Er würde Wiggins fragen, der kannte sich mit so etwas aus. «Wiggins!»
    Sergeant Wiggins fuhr herum. Jury hatte ihn aus einem anregenden Gespräch über das bevorstehende Weihnachtsessen aufgescheucht. «Sir?»
    «Ach, nichts.»
    Wiggins nahm sein Gespräch mit Maureen wieder auf. «In meinem Beruf muß man natürlich immer mit allem rechnen, aber falls ich Weihnachten hier bin … ich würde mich freuen. Aber ich esse am liebsten ganz einfache Gerichte …»
    Jury überlegte, wer da wen zum Essen einlud, was seinen Hader mit Gott immerhin so weit besänftigte, daß er sogar ein wenig lächelte.
    «… fritierte Scholle mit Chips, damit liegen Sie bei mir immer richtig», fuhr Wiggins fort. «Ich weiß, das klingt einfallslos, aber …»
    «Mit Erbsenpüree», sagte Maureen fröhlich.
    Jurys Blick fiel wieder auf die Kirche, und die beruhigende Wirkung der harmlosen Debatte über die Vorzüge von pürierten gegenüber ganzen Erbsen verflog. Nur ein einziges lausiges Buntglasfenster, wäre das etwa zuviel verlangt? Ist Dir denn jedes bißchen Schmuck zuwider? Wie kannst Du erwarten, daß die Leute angesichts dieser kahlen käsebleichen Fassade Hoffnung schöpfen? Er hatte den beiden noch immer den Rücken zugewandt, als er sich plötzlich sagen hörte: «Sie war wie eine Schwester für Sie.»
    Das Gespräch verstummte. Er hörte Maureen aufschluchzen und drehte sich beschämt um. Er hatte das nicht laut sagen wollen. Aber während ihres Gesprächs vorhin hatte er immer wieder daran denken müssen: zwei gleichaltrige Mädchen, die eine Hausmädchen, die andere Waise, beide hübsch, freundlich und ernsthaft und beide – da war er sicher – einsam. «Tut mir leid», murmelte er, schmerzlich berührt von der Unzulänglichkeit seiner Worte, und wandte sich ab, um mit wiedererwachtem Zorn die Church of Scotland zu betrachten. Schau, was Du angerichtet hast!
    Er merkte, daß Maureens Hand sanft wie der herabrieselnde Schnee seinen Arm berührte, und in ihrer Stimme schwangen Trauer, Zärtlichkeit und Zorn mit, als sie sagte: «Es stimmt, sie war wie eine Schwester für mich. Aber ich schwöre, daß ich nicht weiß, was geschehen ist. Wenn Sie recht haben, und jemand hat – hat schuld an ihrem Tod, nun, ich halte mich für eine gute Katholikin, aber ich glaube nicht, daß ich auf Gottes Rache warten würde. Nein, wenn mir der Mörder in die Finger geriete, ich würde ihn eigenhändig umbringen. Und das ist die Wahrheit.»
    Jury starrte auf die Church of Scotland und dachte nach. Er wurde immer ungehaltener, weil er spürte, daß zwar sein Zorn nachließ, nicht aber seine Traurigkeit. Dieses Haus erinnerte ihn zu sehr an jenes andere Haus am Dorfanger von Washington.
    «Wer zum Teufel», sagte er und räusperte sich, «wer zum Teufel ißt schon gerne Erbsenpüree?»

9
    «Natürlich feiere ich Weihnachten nicht», sagte Mrs. Wasserman, während sie Jury eine Tasse von ihrem starken Kaffee einschenkte. «Sie wissen ja …» Und sie lächelte und zuckte die Achseln, als hätte sie

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