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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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ein Beilfetischist …»
    «Hör um Himmels willen auf, Melrose», sagte Vivian und wischte über die Windschutzscheibe, die schon wieder beschlagen war.
    In Gedanken spann Melrose seinen makabren Faden weiter: Die Morde im Spinney Moor. Der stille Jäger vom Spinney Moor … Vielleicht sollte er ein paar Schlagzeilen dieser Art seiner Freundin Polly Praed zu ihrer Erbauung übermitteln.
    «Wir sind gerade an einem Schild vorbeigefahren, auf dem ‹Spinneyton› stand.» Vivian seufzte erleichtert auf. «Da muß es doch irgendwo einen Pub geben, von dem aus wir Charles Seaingham anrufen können.»
    «Vivian hat recht», sagte Agatha. «Halt beim ersten Pub an.»
    «Der erste wird vermutlich auch der letzte sein. Ich fürchte, Spinneyton ist kaum bewohnter als ein Potemkinsches Dorf. Wie sollte sich da eine Wirtschaft halten?»
    «Was ist ein Potemkinsches Dorf?» fragte seine Tante. Man hörte Papiergeraschel. Die bloße Erwähnung einer Wirtschaft schien sie hungrig gemacht zu haben, denn sie kramte wieder nach den von Martha zubereiteten Sandwiches.
    Die Arme über dem Lenkrad verschränkt, spähte Melrose angestrengt durch die beschlagene Windschutzscheibe und fragte: «Hast du noch nie von Potemkin, dem Schrecken der Dörfer, gehört –?»
    «Licht! Licht!» rief Agatha.
    «Du hörst dich an wie Othello. Ich sehe es.»
    In der Ferne schimmerten die erleuchteten Fenster eines Hauses wie fahle Sterne durch das Schneetreiben. «Seainghams Landhaus liegt nur eine oder zwei Meilen nördlich von Spinneyton. Was Scott in der Antarktis geschafft hat, schaffen wir doch allemal.» Seine Bemerkung rief einstimmiges Protestgeschrei hervor. Selbst Ruthven sah sich zu einem matten Protest genötigt, weniger aus Angst, in der glucksenden Bodenlosigkeit eines Moorlochs zu versinken, als aus Sorge, Seine Lordschaft könnte sich eine Lungenentzündung holen.
    «Wenn das da ein Dorf ist», sagte Agatha, den Mund voller Sandwich, «dann gibt’s da auch einen Pub. Kein Dorf ohne Pub.»
    Es gab tatsächlich einen Pub. Die erleuchteten Fenster gehörten zu einem gedrungenen, quadratischen Gebäude, das einsam und verlassen dastand. Daneben befand sich ein kleiner Parkplatz mit schneebedeckten Autos. Als sie aus dem Flying Spur ausstiegen, wurde die Tür des Pubs aufgestoßen, und ein Mann beförderte einen anderen unsanft hinaus in den Schnee. Dieser rappelte sich auf, klopfte sich ungerührt den Schnee von Hemd und Stiefeln und marschierte wieder hinein.
    «O Gott!» sagte Agatha. «Was ist denn das für eine Spelunke?»
    Melrose warf einen Blick auf die fensterlose Seitenmauer, wo eine trübe Lampe einen schwachen Lichtschein auf das Wirtshausschild warf. «Wie passend», sagte er, «‹Jerusalem Inn›.»
     
    «Na, hier herrscht doch wenigstens noch Stimmung!» Melrose zündete sich eine Zigarre an und beobachtete die Prügelei, von der sie draußen bereits einen Vorgeschmack bekommen hatten und die nun im Schankraum fortgesetzt wurde. Der Kampf schien um der puren Rauflust willen geführt zu werden. War sie verraucht, würde er einfach aufhören – gleich einer Silvesterrakete, die nur so lange weitersaust, wie der Zündstoff reicht, und dann abstürzt.
    Agatha klammerte sich an den Arm ihres Neffen und bestand darauf, sofort zu gehen. Vivian betrachtete die Szene mit vor Staunen aufgerissenem Mund. Ruthven zog den Kopf ein, als ein Stuhl an ihm vorbeizischte.
    Irgend jemand stand am Eingang Schmiere – aber was hätte der Dorfpolizist hier schon ausrichten kön nen? –, während der eine der Kontrahenten, ein Schwarzhaariger mit einem Ring im Ohr, einen Tisch hochhob, um ihn auf dem Schädel des anderen, eines tätowierten Fettkloßes in Lederjacke, niedersausen zu lassen. Ein Kerl mit Sonnenbrille und nietenbesetzter Weste hinderte ihn daran.
    Zum Dank bekam er ein «Ich schlag dir die Fresse ein, du Arsch!» zu hören, bevor der mit dem Ring im Ohr sich von ihm losriß.
    «Ach, Nutter, schlag dir doch deinen eigenen Hohlkopf ein!» kreischte ein alter Mann und pochte mit seinem Stock dreimal auf den Boden, als würde er damit dem ganzen Spuk ein Ende bereiten.
    Nutter dachte nicht im Traum daran, dergleichen zu tun. Doch bevor er sich dem Fettkloß wieder zuwenden konnte, wurde er von einem großen Rotschopf herumgewirbelt und bekam dessen Faust direkt ins Gesicht. Nutter packte den Störenfried bei seinen roten Locken und rammte ihm seinen Schädel gegen die Nase. Mit blutüberströmtem Gesicht stürzte der Rothaarige

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