Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
Weihnachten» wünschten. Bunte Lichterketten waren an den Deckenbalken befestigt, von denen zusätzlich kleine Lamettakaskaden herabhingen.
    Die auffälligste Dekoration jedoch war eine fast lebensgroße Krippe, die in der Nische neben dem Kamin aufgebaut worden war. Die billigen Gipsfiguren mit ihrer abblätternden Farbe boten einen jämmerlichen Anblick: es gab dort eine Ziege mit abgebrochenen Ohren und ein Lamm, dem ein Vorderbein fehlte, was den Eindruck vermittelte, es sei im Begriff, niederzuknien. Zwischen Lamm und Ziege schlummerte ein Hund von unbestimmter Rasse, dem es anscheinend zu Herzen gegangen war, daß die Tierwelt hier nur so dürftig vertreten war. Man konnte fast meinen, er sei der Stickerei über dem Kamin entsprungen. Diese verkündete allen, die es noch nicht wußten, den Tod von Treu und Glauben, den wohl allein jene verschuldet hatten, die ihre Zeche nicht bezahlten. Maria und Joseph beugten sich mit gütigem Lächeln über eine Art Kiste, die außer Stroh nichts enthielt als ein Kätzchen, das seine Chance gewittert und genutzt hatte. Sein Fell war häßlich gescheckt, das Mäulchen so schief und verzerrt wie das eines Wasserspeiers.
    Melrose wurde auf einmal traurig, weil Maria und Joseph nicht wußten, daß ihr Kind fehlte. Und warum waren die Heiligen Drei Könige nur zu zweit? Er gesellte sich zu Agatha und Vivian.
    «Hör auf, Löcher in die Luft zu starren und setz dich, Melrose. Vivian hat gerade Charles Seaingham angerufen …»
    «Er kommt und holt uns ab», sagte Vivian. «Er meinte, es sei das beste bei diesem Schneetreiben.»
    «Wir sollten ihm nicht solche Ungelegenheiten bereiten. Wir könnten ja auch hier übernachten und morgen früh weiterfahren.»
    «Übernachten?» protestierte Agatha. «In einer Kneipe ?»
     
    Während sie warteten, schlenderte Melrose mit seinem Glas ins Hinterzimmer, wo ein paar Pool- und Snooker-Tische einige Leute in verschiedenen Stadien der Trunkenheit angelockt hatten, die nun ihr Talent beim Billardspiel unter Beweis stellen wollten. Die einzigen, die nüchtern aussahen, waren ein hübscher junger Mann mit dunklem Hemd und Lederweste, der gerade die Spitze eines Queues einkreidete, und ein anderer, hochgewachsener junger Mann mit braunen Haaren, dem trüben Blick und dem schlaffen Mund eines Debilen. Die beiden unterhielten sich.
    Melrose beobachtete einen Spieler dabei, wie er die Kugeln zurechtlegte, eine Weile überlegte, Maß nahm und dann die weiße Kugel mit einem kräftigen Stoß im hohen Bogen über die Bande beförderte. Schließlich schaffte er es auch noch, etwas Bier auf der Tischbespannung zu verschütten. Sofort brach ein Streit aus, doch bevor er sich zu einer Neuauflage der Prügelei von vorhin steigern konnte, verließ Melrose den Bierdunst der Spielstätte zugunsten des milderen Klimas im Vorderraum. Dort erblickte er zu seiner großen Freude einen Gentleman, der in einer Schneewolke zur Tür hereintrat und nur Charles Seaingham sein konnte. Der Mann wechselte ein paar Worte mit Hornsby, und der deutete auf ihren Tisch am Kamin.
    Charles Seaingham entschuldigte sich wortreich und dankte ihnen für ihre Geduld, als trüge er allein die Verantwortung für das Wetter. Er war groß, Ende Sechzig, hatte eisengraues Haar und würde, wie Melrose ihn einschätzte, auch noch seinen Mann stehen, wenn die restliche Welt längst aufgegeben hatte. Zwar schien er seiner Erscheinung und seinem Auftreten nach ausgezeichnet in diese ländliche Abgeschiedenheit zu passen, doch Melrose wußte, daß Charles Seaingham ein Mann von Welt mit einem äußerst verfeinerten Geschmack war und als Kritiker so viel Respekt genoß, daß er den Ruhm eines Künstlers so schnell vergessen machen konnte wie eine Nachricht von vorgestern. Vivian durfte sich geschmeichelt fühlen, daß Seaingham nicht allein von ihren Gedichten, sondern auch von ihrer Person so viel hielt, daß er sie in sein Haus einlud. Man machte sich gegenseitig bekannt, und Agatha nutzte die Gelegenheit, um zu einer Aufzählung der Titel der Earls of Caverness anzusetzen. Melrose stopfte ihr zu Seainghams Verwirrung rasch den Mund.
    «Tja, wir sollten vielleicht aufbrechen. Ich habe den Landrover mitgebracht, mit anderen Fahrzeugen kommt man zur Zeit nicht durch.» Auf dem Weg zur Tür fügte er hinzu: «Wir sind nur ein kleiner Haufen; alte Freunde, die Ihnen, glaube ich, gefallen werden.» Er lachte. «Die werden froh sein, ein paar neue Gesichter zu sehen. Wir sind da oben schon seit drei

Weitere Kostenlose Bücher