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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Gedanken, frisches Blut in die greisen Adern des Hotels zu bekommen, leckte sie sich die Lippen. Mrs. Krimp hatte etwas von einem Vampir. Inzwischen war Glo hinter ihr aufgetaucht und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
    «Polizei!» rief Mrs. Krimp. «Das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, in mein Hotel einzudringen und alles in Unordnung zubringen …»
    Langsam erhob Jury sich aus seinem Sessel. Gewöhnlich legte er es nicht darauf an, Eindruck zu schinden, aber er hatte eine Art kultiviert, sich aufzurichten, die ihn größer als seine 186 Zentimeter erscheinen ließ, und er konnte einen samtweichen Ton anschlagen, der einem Schauer des Entsetzens den Rücken herabrieseln lassen konnte. Mrs. Krimp wich ein oder zwei Schritte zurück, als er zu ihr sagte: «Sie wissen doch, Mrs. Krimp, daß es gewisse Richtlinien gibt, an die jedes Hotel sich zu halten hat. Wann hat in diesem Kamin dort zum letztenmal ein Feuer gebrannt? Heute nach dem Frühstück? Ich würde mich schon sehr wundern, wenn es in der letzten Woche überhaupt angezündet worden wäre.» Er zückte sein Notizbuch, blätterte darin herum (als hätte er bereits umfangreiche Aufzeichnungen über die Vorgänge im Margate gemacht) und kritzelte etwas hinein. «Zugegeben, ich bin nicht von der Aufsichtsbehörde. Aber ich werde jemanden von dort kommen lassen» – er lächelte zuckersüß –, «und zwar schleunigst.»
    Der alte Mann unterdrückte ein Kichern, und die andere alte Dame sah Mrs. Krimp erwartungsvoll an, als wollte sie sagen: Na, wie schmeckt dir das, du alte Hexe.
    Mrs. Krimp wurde feuerrot. Ihre Lippen bewegten sich, doch sie brachte keinen Laut hervor.
    Miss Dunsany ließ sich die günstige Gelegenheit nicht entgehen und sagte im Tonfall eines Menschen, der gewohnt ist, mit Personal umzugehen: «Ja, Mrs. Krimp. Und da wir gerade dabei sind: Könnten wir zum Abendessen vielleicht einmal etwas anderes bekommen als Tomatensuppe aus der Dose?» Dann fügte sie mit beiläufiger Grandezza hinzu: «Und wir hätten alle gerne ein Glas Port.»
    « Port? Was soll das nun heißen? Die Bar ist im Winter geschlossen …»
    «Meine gute Frau, ich spreche von meinem Port. Die Kiste Cockburn’s, die ich Ihnen anvertraut habe, damit sie in Ihrem Keller gelagert wird.»
    Jury hätte wetten können, daß Mrs. Krimp sich schon seit geraumer Zeit die trübe Winterlaune mit dem Cockburn’s vertrieb. Das Netzwerk feiner roter Aderchen in ihrem Gesicht sprach Bände. Cockburn’s und Gin, schätzte er.
    Mrs. Krimp fegte wutentbrannt aus dem Zimmer.
    Nach ein paar Minuten erschien Maxine, die jetzt um einiges eilfertiger wirkte und Jury ansah, als fürchtete sie, er werde ihr auf der Stelle Handschellen anlegen. Sie trug ein Tablett mit einigen zusammengewürfelten Gläsern und einer Flasche Bristol Cream darauf.
    Miss Dunsany lächelte. «Bestimmt aus ihren Privatbeständen. Ich kann mir schon vorstellen, was aus meinem Cockburn’s geworden ist.»
    Während der nächsten halben Stunde wurde es richtig gemütlich. Sie tranken jeder zwei Gläschen (Jury sah, wie Bradshaw ein drittes kippte, während Miss Dunsany ins Feuer starrte) und unterhielten sich.
    Bradshaw und Miss Gibbs nickten schließlich sanft ein, während Miss Dunsany die alten Zeiten im Margate Hotel Wiederaufleben ließ: die Strandpromenade, deren Planken längst verrottet waren, die Badekarren, die Damen mit Sonnenschirmen und die Herren mit weißen Hosen und gestreiften Jacketts. Während sie erzählte, hörte Jury den Wind ums Haus heulen. Irgendwo knallte ein Fensterladen zu, eine unverriegelte Tür knarrte, als wolle der Wind sich einen Weg ins Haus suchen. Miss Dunsany spann ihre Vergangenheit aus, und das Zimmer summte vor Erinnerungen.
    «Helen Minton», nahm Miss Dunsany das unterbrochene Gespräch wieder auf, nachdem sie genüßlich an ihrem Glas genippt hatte. «Sie war ganz anders als die Leute, die man gewöhnlich hier im Margate antrifft.»
    «Wie war sie denn?» Er zog seine Zigaretten hervor, bot auch Miss Dunsany eine an und gab ihr Feuer.
    «Unglücklich. Im übrigen hat sie wohl mehr über mich erfahren als ich über sie. Ich glaube, sie hatte kaum Angehörige. Einen Cousin, den sie selten sah; er ist Künstler. Über ihre Eltern weiß ich nichts Genaues. Soviel ich mir zusammenreimen konnte, war der Vater in eine ziemlich unangenehme Sache verwickelt. Vielleicht in eine Unterschlagung?» Sie sah Jury fragend an, als könnte er aus den dürftigen Anhaltspunkten, die sie zu bieten

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