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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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einfach auf den einzigen beleuchteten Punkt zu. Aber ist es nicht selbst für Scotland Yard schon ein bißchen zu spät, um harmlose Leute in einer dienstlichen Angelegenheit aufzusuchen?»
    «Schon möglich. Aber manchmal ist mir der Überraschungseffekt wichtiger als meine gute Erziehung.» Lächelnd steckte Jury seine Zigaretten ein. «Hoffentlich komme ich mit dem Wagen durch. Sie werden schon hübsch warm in den Betten liegen.»
    «Wahrscheinlich. Hier auf dem Lande ist eben nicht viel los.»
    «Täuschen Sie sich da nur nicht», sagte Jury.
     
     
    ER hätte es Tom gegenüber mit keinem Wort zugegeben, aber trotz des eisigen Windes fand Melrose Vergnügen daran, lautlos durch Schnee und Dunkelheit zu gleiten. Vielleicht schlummerte in einem verborgenen Winkel seines Herzens ein Rest Jack London-Romantik, denn er sah sich schon als Held von Auf Skiern . Aber während in seiner Phantasie noch Bilder von Alaska und Goldgräberlagern herumspukten, schweiften seine Gedanken allmählich zurück zu Ardry End, zu seinem bequemen Sessel vor dem Kamin und einem Glas Port, und er kam zu dem Schluß, daß ihn von MacQuades Held doch einiges unterschied.
    Tommy dachte ebenfalls an das Buch. «Es ist wirklich spannend», sagte er. «In dem ganzen Buch tritt nur eine einzige Figur auf, und trotzdem wird es nie langweilig. Es muß schwierig sein, so etwas zu schreiben.»
    «Ein großer Wurf, das Buch», sagte Melrose. «Kein Wunder, daß er den Booker-Preis dafür bekommen hat. Und er selber ist auch ganz in Ordnung.»
    Der fahle Mond verschwand hinter einer Wolkenbank, einzig Toms fluoreszierender Kompaß schimmerte in der Dunkelheit. «Die Richtung stimmt. Es ist nur noch eine halbe Meile bis zur Abtei. Ich erkenne die Mauer dort drüben. Ich glaube, es ist ein altes Bauernhaus oder so was.»
    Melrose sah nur eine schwarze Silhouette. «Apropos Mauer – wie schaffst du es, auch in St. Jude’s zu trainieren? Denn um so spielen zu können wie du, muß man doch bestimmt wie ein Verrückter üben. Da bleibt dir doch wenig Zeit zum Lernen.»
    «Das Lernen hab ich mir abgewöhnt. Die Pauker wundern sich zwar manchmal, wo ich abgeblieben bin – aber nur ein bißchen, als hätten sie ihre Pfeife oder Brille verlegt. Ich glaube, die würden keinen vermissen, der nicht gerade ein Cricket-As ist. Ich klettere immer so früh ich kann über die Mauer und gehe in die Spielhalle unten im Dorf. Und natürlich lese ich viel abends, nachdem die Lichter gelöscht werden, damit ich nicht ganz den Anschluß verpasse. Mein Spezialgebiet ist Mesopotamien, da bin ich inzwischen eine echte Autorität, und deswegen denkt jeder, daß ich über alles andere auch eine Menge weiß. Es ist schon komisch: wenn man sich gut mit einer Sache auskennt, die keinen besonders interessiert, halten die Leute einen gleich für hochgebildet. Nein, in St. Jude’s hab ich genug Gelegenheit zum Trainieren; schwierig wird es erst, wenn ich in den Ferien nach Hause komme.» Melrose hörte jemanden seufzen; vielleicht war es Tom, vielleicht aber auch nur der Wind, der ihm um die Ohren blies. «Tante Betsy ist strikt dagegen, daß ich spiele. Ich glaube, es erinnert sie an Vater. Außer am Billardtisch hat er sich nie viel um mich gekümmert. Sie hat schon recht, er war wirklich so eine Art Playboy. Hat nie gearbeitet und das Geld mit beiden Händen ausgegeben. ‹Leichtfertig›, so nennt sie ihn. Ihn und meine Mutter. Ich will aber nicht sagen, daß sie schlecht von meinen Eltern spricht, das bestimmt nicht. Jedenfalls muß ich mir in den Ferien alle möglichen Tricks ausdenken, um nicht aus der Form zu kommen. Die Klavierstunden nehm ich zum Beispiel, damit meine Finger geschmeidig bleiben. Ich bin ein ziemlich miserabler Klavierspieler, oder?» Er schien auf seinen Mangel an Talent fast stolz zu sein.
    «Einem miserableren bin ich noch nicht begegnet.»
    Tom lachte. «Na ja, und dann die Oboe. An der interessiert mich eigentlich nur der Kasten. Ich meine, es ist nicht ganz einfach, mit einem Queue durch die Gegend zu laufen, ohne daß jemand dumme Fragen stellt. Außerdem schieße ich ziemlich gut.»
    Melrose blieb stehen. «Du schießt? Womit?»
    Tom blieb ebenfalls stehen. «Mit dem Gewehr natürlich. Oder mit Pistolen. Wir haben einen Schießstand. Vater hat ihn bauen lassen, um üben zu können. Aber seit Tante Betsy ihre Tierliebe entdeckt hat, darf auf unserem Land nicht mehr geschossen werden. Mr. Seaingham versucht sie manchmal umzustimmen, weil er ganz

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