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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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verrückt auf die Vogeljagd ist. Denn hier gibt’s jede Menge Fasanen, Rebhühner und Wachteln. Jedesmal wenn die Seainghams zu Besuch kommen, sieht er große Vogelschwärme aus dem Unterholz auffliegen …»
    «Aber was hat Schießen denn mit Snooker zu tun?» fragte Melrose, während er sich eine sanfte Steigung hocharbeitete.
    Vor ihnen lag ein Abhang. Sie stießen sich mit ihren Skistöcken ab und fuhren Schuß. Über ihnen glänzten ein paar Sterne so kalt wie Stahl. «Der linke Arm wird dabei genauso benutzt wie beim Schießen», rief Tom. «Mit dem Gewehr trainiere ich ganz einfach eine ruhige Armhaltung. Wenn man bei einem Schuß auch nur das kleinste bißchen zittert, kann die Kugel das Ziel schon weit verfehlen.»
    «Deine Snooker-Leidenschaft hält dich ja ganz schön auf Trab.»
    «Der ganze Aufwand wäre nicht nötig, wenn ich jeden Tag spielen dürfte. Aber wenn man nicht tun kann, was man will, muß man eben versuchen, auf Umwegen ans Ziel zu kommen.»
    Tante Betsy hatte einen Neffen, der seiner Berufung ebenso ergeben war wie nur irgendein Maler oder Schriftsteller, aber sie war blind für sein Talent. Der Gedanke stimmte Melrose traurig.
    Tommy begann von dem Pub in der Nähe seiner Schule zu erzählen. «Natürlich weiß dort keiner, daß ich von St. Jude’s komme und diesen verdammten Titel trage.»
    Sie glitten eine Weile schweigend dahin, bis Tom plötzlich fragte: «War Ihre Familie böse, als Sie auf Ihren Titel verzichteten?»
    «Meine Eltern waren schon tot. Lady Ardry ist meine einzige Verwandte.»
    «Meine Eltern sind gestorben, als ich zehn war.»
    «Erinnerst du dich noch gut an sie?»
    «Ja. Mutter war wunderschön. Ich glaube, ich bin ihr manchmal ziemlich auf die Nerven gegangen. Besonders zärtlich war sie jedenfalls nie. Mit Vater war es oft lustig, vor allem am Billardtisch.» Er lachte. «Mann, hatten wir einen Spaß! Aber ich habe sie selten gesehen; sie trieben sich meistens in der Weltgeschichte herum.» Nach einem kurzen, wehmütigen Schweigen fuhr er fort: «Sie hätten mich ruhig mal mitnehmen können. Aber ich mußte immer bei Tante Betsy bleiben.» Als hätte er eben einen Verrat an seiner Großtante begangen, fügte er schnell hinzu: «Das heißt nicht, daß ich sie nicht liebe. Mal abgesehen vom Snooker ist sie schwer in Ordnung. Für Tante Betsy würde ich alles tun», sagte er mehr zu sich selbst, bevor er sich wieder an Melrose wandte. «Sie waren wahrscheinlich schon ziemlich alt, als Sie Ihren Titel abgelegt haben.»
    «Ich finde nicht, daß man mit Ende Dreißig alt ist.»
    Tom ging nicht weiter darauf ein. «Ich würde meinen Titel auch gerne loswerden, aber ich will Tante Betsy nicht weh tun. Sie lebt für die Familienehre – was immer die damit zu tun hat.»
    «Aber es ist dein Leben; kein anderer kann dir die Verantwortung dafür abnehmen.»
    Als hätte Melrose ihm damit einen Ausweg aus der Misere gezeigt, legte Tommy zu einem Spurt los. Spinney Abbey lag immer noch eine Viertelmeile entfernt.
    Melrose fühlte sich wie ein Walroß auf Schlittschuhen, als er zehn Minuten später keuchend das kleine Tor in der Klostermauer erreichte. Er kam gerade noch rechtzeitig, um den Schrei zu hören und zu sehen, wie Tommy Whittaker der Länge nach hinschlug, als hätte ihn jemand von hinten niedergeschossen.
     
     
    Die Skier ragten schräg nach oben, und Tommy lag bäuchlings im Schnee, als Melrose sich endlich bis zu ihm vorgearbeitet hatte.
    «Verdammt noch mal!» rief Tom. «Helfen Sie mir doch hoch!»
    Zu Melroses unendlicher Erleichterung schien er quicklebendig zu sein.
    Es war kein leichtes Stück, jemandem aufzuhelfen, der Skier an den Füßen hatte, zumal wenn man selber auf Skiern stand, aber schließlich brachte Melrose den Jungen wieder auf die Beine. Tommy zerrte, sich die Skimütze vom Kopf und wischte sich den Schnee aus dem Gesicht. «Was zum Teufel war denn das? Hat sich angefühlt wie ein Baumstumpf.» Er stellte die Skier parallel, ging in die Hocke und tastete im Schnee herum. «Haben Sie denn keine Taschenlampe dabei?» fragte er Melrose.
    «Nein. Ich bin schließlich noch Anfänger im Überlebenstraining.»
    «Es scheint ein Tierkadaver zu sein oder so was – o Gott …»
    «Was ist los?»
    «Das ist doch Mrs. Seainghams Hermelincape –»
    «Laß es liegen», sagte Melrose rasch. Er hatte es endlich geschafft, die Bindungen seiner Skier zu öffnen. Hier, in der Nähe des überdachten Fußwegs, lag der Schnee nur

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