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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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knöcheltief.
    «Wieso?»
    Melrose kniete nieder und betastete vorsichtig das Cape. Das weiche Fell war schnee- und eisverkrustet. Der Körper darunter lag mit dem Gesicht im Schnee. «Weil», sagte er langsam, «weil du nicht über ein Cape gestürzt bist, alter Junge.»
    Er fragte sich, wer in aller Welt den Wunsch gehabt haben konnte, Grace Seaingham zu ermorden.
     
     
    Der zweite Schock ließ nicht lange auf sich warten, denn die erste, die in weißen Satin gehüllt auf der Treppe der Vorhalle erschien, nachdem Marchbanks und Ruthven Alarm geschlagen hatten, war Grace Seaingham.
    Warum sie denn so dreinstarrten, wollte sie wissen. Ob irgend etwas nicht in Ordnung sei?
    Melrose wählte seine Worte vorsichtig. «Ich denke, Mrs. Seaingham, Sie werden feststellen, daß einer Ihrer Gäste … fehlt.»
    Lady Ardry war es jedenfalls nicht.
    Sie kam im Morgenmantel und Schlafhaube die Treppe heruntergestürzt und überschüttete sie mit einem Schwall von Fragen. Warum hatte man sie aus dem Schlaf gerissen? Wieso lief Melrose in dieser komischen Aufmachung herum? Warum, wieso, weshalb?
    Lady St. Leger, die mit großen Augen ihren Neffen anstarrte, verlangte ebenfalls nach einer Erklärung. «Wo in aller Welt kommst du jetzt her, Tom?»
    «Ich war Ski laufen», sagte Tommy. Beim Anblick seines schuldbewußten Gesichtsausdrucks brach MacQuade in Gelächter aus.
    Erst als Melrose Vivian sah, bemerkte er, wie groß seine innere Anspannung gewesen war. Ihr Haar war völlig zerzaust, ihr Morgenmantel einige Nummern zu groß; sie gehörte zweifellos nicht zu jenen Frauen, die kurz nach dem Erwachen am schönsten aussehen. Zudem war sie ziemlich benebelt. Zuviel Brandy, vermutete er. Als sie ihn gähnend fragte, ob er vorhabe, eine Art Gesellschaftsspiel zu veranstalten, sagte er kein Wort.
     
    Alle Bewohner des Hauses, Gastgeber und Gäste, hatten sich inzwischen im Salon eingefunden. Die meisten steuerten unverzüglich auf den Tisch mit den Getränken zu.
    Melrose sah von einem zum anderen und sagte dann ohne Umschweife: «Beatrice Sleight ist ermordet worden.»
     
    Außer Susan Assington, die erschrocken ihren Drink verschüttete – und selbst das schien in Zeitlupe zu passieren –, erstarrten alle in verschiedenen Posen der Verblüffung und des Unglaubens.
    Es war Frederick Parmenger, der mit einem gezwungenen Gelächter die Anspannung löste. «Wirklich ein verdammt origineller Scherz – was immer Sie auch damit bezwecken mögen.»
    Es kam wieder Bewegung in die Anwesenden; die einen lachten nervös mit, andere ließen sich erleichtert in die Sessel fallen. Agatha seufzte und steckte einen Lockenwickler unter die Schlafhaube, die ihrem Kopf das Aussehen eines riesigen Pilzes verlieh. «Achten Sie am besten gar nicht auf Melrose. Er liebt seltsame Scherze.»
    Nur Charles Seaingham hatte seine Sinne so weit beisammen, daß er Beatrice Sleights Abwesenheit bemerkte. Er warf Melrose einen prüfenden Blick zu und erbleichte. «Das ist kein Scherz. Aber, mein Gott, was … wo …?» Er sah sich suchend um, als könne die Leiche plötzlich auf dem Fußboden auftauchen.
    «Draußen», sagte Melrose. «Tom und ich haben sie gefunden. In der Nähe des Wegs, der zur Kapelle führt.»
    Wieder erstarrten alle. «Treiben Sie bitte nicht solche makabren …» begann Grace Seaingham, doch als sie sah, daß Melrose und Tommy keineswegs zu Scherzen aufgelegt waren, griff sie haltsuchend nach dem Arm ihres Mannes.
    «Sind Sie sicher, daß sie tot ist?» fragte Sir George Assington.
    «Ja.»
    «Bitte – schauen Sie nach, George», bat Seaingham.
    Melrose hielt ihn auf. «Es wäre vielleicht besser, auf die Polizei zuwarten.»
    «Die braucht doch Stunden, um herzukommen», sagte Seaingham.
    «Das glaube ich eigentlich nicht», entgegnete Melrose.

17
    Jemand pochte mit dem riesigen Messingring an der Tür zweimal gegen das Holz. Das Geräusch ließ alle auffahren.
    Als Ruthven – der in seinem alten gestreiften Morgenrock so würdevoll einherschritt, als trüge er einen Cut – Jury in den Salon führte, wünschte Melrose, er hätte etwas mehr Zeit gehabt, seine Gedanken zu ordnen.
    Die arme Lady Ardry stellte Jurys Erscheinen offensichtlich vor ganz andere Probleme: Sie riß den Mund auf, hievte sich aus dem Rosenholzsofa, achtete nicht mehr auf die Lockenwickler, die unter ihrer Haube hervorsprossen, und machte mit einem Schrei ihrer Verwunderung Luft: «Großer Gott! Inspektor Jury!» Bei ihrer letzten Begegnung war er noch «Herr

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