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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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erwartete er, es im nächsten Moment zersplittern zu sehen wie eine Windschutzscheibe.
    Parmenger schien ein wenig zurückzuweichen, aber darüber hinaus zeigte er keinerlei Gefühlsregung. «Charmant. Ganz recht.» Er starrte Jury an, als wollte er nach altrömischer Sitte den Überbringer der schlechten Nachricht mit eigenen Händen erwürgen. Sein schönes scharfgeschnittenes Gesicht hätte sicher gut auf die Rückseite einer alten Münze gepaßt.
    Sie musterten einander stumm. Schließlich brach Jury das Schweigen: «Sie haben mich noch gar nicht gefragt, wie sie gestorben ist.»
    «Ihr Herz?»
    «Nein. Sie wurde vergiftet.»
    Frederick Parmenger wandte ihm abrupt den Rücken zu und studierte erneut sein Gemälde. Nach einer Weile sagte er leise: «Ich kann das einfach nicht glauben.»
    Jury warf einen Blick auf seine Uhr. Zwanzig Minuten waren vergangen, seit er Cullen angerufen hatte. Es würde noch einmal so lange dauern, bis Cullen eintraf. Er hatte viel Zeit, Parmenger aus der Reserve zu locken. Er konnte warten.
     
    Das Porträt zeigte Grace Seaingham in einem langärmeligen elfenbeinfarbenen Kleid, dessen schlichter Schnitt in reizvollem Kontrast zu dem kostbaren Stoff stand. Parmenger hatte die Textur der Moireseide wunderbar wiedergegeben und mit gleicher Meisterschaft das Wintersonnenlicht eingefangen, das durch die Fenster strömte und in Streifen auf den chinesischen Teppich zu ihren Füßen fiel. Das Licht verlieh ihr ein überirdisches, schemenhaftes Aussehen. Jury glaubte fast, den dunklen Umriß des Bücherschranks durch ihre Gestalt hindurch sehen zu können.
    Parmenger stand zigarrerauchend vor dem Bild und betrachtete es unverwandt, als gelte ihm beider ausschließliches Interesse. «Meine letzte Herzogin. Ist das nicht von Robert Browning? Jedenfalls ist dies hier hoffentlich mein letztes Porträt.»
    «Sehen Sie sich in der Rolle des Herzogs von Ferrara?»
    Es schien Parmenger zu überraschen, daß ein Polizist Browning kannte. «Nein. Ich glaube, Herzog Ferdinand liegt mir eher. Ich meine den, der in der Herzogin von Malfi verrückt wird, weil er glaubt, er würde sich in einen Wolf verwandeln. Seltsames Stück.» Der Blick, den er Jury zuwarf, war der eines tollwütigen Tieres. Doch er beherrschte sich und wandte sich mit einem Stirnrunzeln wieder dem Porträt zu, als habe er darin eine Unzulänglichkeit entdeckt.
    «Der Tod von Beatrice Sleight scheint Ihnen ja nicht allzu nahe zu gehen.»
    «Ehrlich gesagt, nein. Im Gegenteil, ich war unglaublich erleichtert, daß es nicht Grace getroffen hat. Grace ist wirklich ein guter Mensch. Ihre Bigotterie kann einem zwar auf die Nerven gehn, aber schließlich ist niemand vollkommen.» Er stürzte seinen Drink hinunter. «Dagegen war Beatrice Sleight ein Miststück. Ich kann mir keinen vorstellen, der es auch nur eine Stunde mit ihr allein ausgehalten hätte, ohne daß er Lust bekam, sie in Stücke zu reißen. Und wir waren ganze drei Tage zusammen mit ihr eingeschneit – Mann, mich wundert’s, daß erst jetzt einer auf die Idee gekommen ist, ihr den Garaus zu machen.»
    «Wer hätte Ihrer Meinung nach einen handfesten Grund gehabt, sie zu töten?»
    «Alle.» Er trank den Whisky aus und goß sich einen neuen ein.
    «Aber einer ganz besonders.»
    «Ich jedenfalls nicht. Werden Sie jetzt wissen wollen, wo ich zur fraglichen Zeit war und so weiter?» Er ließ sich wieder in den Sessel fallen, neigte den Kopf zur Seite, wie um das Porträt schärfer ins Auge fassen zu können, und beantwortete seine Frage gleich selbst. «Ich war auf meinem Zimmer.» Seine Augen, die unverwandt auf das Bild gerichtet waren, verengten sich zu Schlitzen. «Irgendwas stimmt da doch nicht.» Künstlerische Probleme interessierten ihn scheinbar über alles. «Ich war auf meinem Zimmer, genau wie alle anderen. Wir sind früh nach oben gegangen. Hatten wohl alle genug davon, Abend für Abend in die gleichen langweiligen Gesichter zu starren.»
    «Haben Sie nichts gehört? Keinen Schuß, nichts?» fragte Jury. Parmenger schüttelte den Kopf, stand auf, trat ohne sein Glas abzusetzen an das Bild, nahm einen Pinsel aus einem Glastopf, mischte ein wenig Ocker mit einer Idee Schieferweiß und zog eine Linie, die so hauchdünn war, daß Jury sie kaum wahrnahm. Dann tat er den Pinsel zurück in den Topf und setzte sich wieder.
    «Gar nichts. Die Schlafzimmer liegen auf der von der Kapelle abgewandten Seite des Hauses. Außerdem hat’s ziemlich gestürmt. Bei dem Wind hätte man

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