Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote
»Ist er drei Jahre vorher in Flagford gewesen?«
»Ganz genau. Morella’s hatte einen ordentlichen Campingplatz, nicht wie das Grundstück, auf dem sie kampieren mussten, als er früher dort gewesen war und zwei Typen mit Gewehren hinter ihnen her waren.«
»Mit Gewehren?«
»Hat er gesagt.«
Adam Thayer brachte Tee. Obwohl ihre Tasse knallheiß war, trank Bridget Cook gierig. »Fahren Sie fort, Miss Cook.«
»Er möchte alte Kumpels besuchen, während er dort ist, hat er gesagt. So hat er’s gesagt: ›alte Kumpels‹. Dabei könnte ein bisschen Geld herausspringen. Sie wären ihm was schuldig. Nachdem er unseren Hochzeitstermin festgelegt hatte, sind wir am nächsten Tag zum Obstpflücken – diesmal Victoria-Pflaumen. Und als wir zurückkamen, hat er gemeint, er würde sich jetzt mit seinen Kumpels treffen und sich dann in einem leerstehenden Haus ein bisschen waschen, weil unsere Dusche kaputt war. Ich hab auf ihn gewartet und gewartet, aber als es Mitternacht wurde, hab ich gewusst, dass er nicht zurückkommen würde. Ich wusste es einfach. Keine Ahnung, wieso. Es war komisch, weil ich dachte, er hätte mich wirklich gemocht. Vielleicht sind Männer einfach nur ein komischer Haufen … Entschuldigung, ich hab nicht Sie gemeint.«
Wexford versicherte ihr, er habe es nicht persönlich genommen. Damit hatten zwei Frauen vergeblich auf die Rückkehr ihrer Männer gewartet, eine vor elf Jahren, die andere drei Jahre später. Er konnte immer noch nicht sagen, ob es eine Verbindung zwischen den beiden Männern gab. Andererseits mochte er aber auch nicht an einen derart großen Zufall glauben.
Am nächsten Abend war Sheila bei ihrer Mutter. Die Kinder hatte sie bei Vater und Kindermädchen daheim gelassen, um an der zweiten Versammlung der Bürgerinitiative für die Gesundheit afrikanischer Frauen teilnehmen zu können. Ursprünglich hatte Wexford ihr erzählen wollen, dass die Imrans ihre fünfjährige Tochter in ihre somalische Heimat mitgenommen hatten und dass er Schlimmes befürchtete, aber dann unterließ er es. Sheila würde nur eine ihrer leidenschaftlichen Reden vom Stapel lassen, in der sie alles anprangerte: die Justiz, mutwillige Grausamkeit und Kindesmissbrauch. Das alles in Verbindung mit einem ganzen Katalog von Anweisungen, welche drastischen Maßnahmen er ergreifen solle, und zwar binnen der nächsten Stunden. Stattdessen befragte er sie zu dem Film. Hatten die Dreharbeiten schon begonnen?
»Das dauert noch ewig, Paps, noch Monate.«
»Hoffentlich wirst du gut bezahlt, auch wenn ich nicht mit Hollywoodgagen rechne.«
»Na ja, das nicht«, meinte sie, »aber es ist nicht übel. Hast du gewusst, dass der Autor schwerkrank ist? Angeblich wird er den fertigen Film nicht erleben. Ist das nicht traurig?«
»Er hat sicher viel Geld für die Rechte bekommen.«
»Heute interessierst du dich ausschließlich fürs Geld. Das ist doch sonst nicht deine Art, Paps.«
Er lachte. »Weißt du, ich bin ihm begegnet und habe ihn ein bisschen kennengelernt. Vermutlich wird alles seine Frau erben.«
»Wer sonst?«, sagte Sheila und trollte sich, um sich für ihre Versammlung fertig zu machen.
Dora fuhr mit ihr in dem schwarzen Mercedes mit dem gut aussehenden Fahrer weg, während Wexford sitzen blieb und dem Regen zuschaute, der später in Hagel überging und gegen die Terrassentüren trommelte. Er wartete auf Burden, um mit ihm seine tägliche Rotweinration zu teilen. Mit Sicherheit würde der Inspector erst dann das Haus verlassen, wenn die Regenwand, die der Wetterbericht lediglich als kurzen Schauer angekündigt hatte, am Horizont verschwunden war. Wexfords Gedanken wanderten zu Tredown, ins Hospiz von Pomfret. Herr, lehre doch mich, dass es ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davonmuss. Woraus stammte dieser Vers? Vermutlich aus dem Begräbnisritus. Mit so etwas beschäftigten sich Todkranke, und auch die wussten nicht genau, wie viel Zeit ihnen noch blieb. Ob Tredown Rückschau auf sein Leben hielt? Würde er es für gut befinden? Eine Ehefrau, von der er sich hatte scheiden lassen, eine zweite, von der man nur schwer glauben mochte, dass jemand sie liebte, die drögen Romane nach biblischen Motiven, das eine gute Buch aus seiner Feder, das ihn überleben würde … Falls er es überhaupt selbst geschrieben hatte.
Es läutete an der Haustür. Wexford zuckte zusammenund stand auf, um Burden einzulassen. Der Inspector war ziemlich nass. Seine Haare klebten am Kopf, und
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