Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote
Zeitung? Vielleicht etwas von Mr. Davidson, das er dessen Witwe zur Erinnerung geben wollte, ein Stück aus Studententagen?«
»Sie haben recht. Das alles hätte sein können. Wenn ich doch nur mehr helfen könnte.«
Hatten seine Worte bei ihr eine Gesinnungsänderung bewirkt? Wollte sie jetzt den Mörder ihres Vaters vor Gericht bringen? Er wusste es nicht. Vielleicht. Er verabschiedete sich mit der Ankündigung, dass er sicher noch mal mit ihr würde sprechen müssen, und machte sich dann zu Fuß auf den Weg zum Bahnhof. Unterwegs traf er Vivien Hexham.
»Ihre Schwester wird Ihnen alles erzählen«, sagte er, »besser, als ich es kann.«
Während er mit Burden in ihrem gewohnten indischen Lokal zu Mittag aß, kam Matea ziemlich schüchtern auf ihn zu und erzählte ihm, ihre Eltern seien über die Ferien nach Mogadischu geflogen und hätten Adel und Shamis mitgenommen.
»Ich kann sie nicht daran hindern«, sagte sie.
Wexford schüttelte den Kopf. »Ich leider auch nicht.«
Burden blickte ihr nach, während sie hinter dem Perlenvorhang verschwand, und meinte: »Sieht sie nicht hinreißend aus? Einfach vollkommen!«
In Wexford keimte Wut auf. »Lass dir eines gesagt sein: Mit ihr zu schlafen, würde weder dir noch ihr viel Spaß machen.«
Burden zuckte zusammen. Er war schockiert, allerdings weniger über diesen Satz, sondern über den, der ihn ausgesprochen hatte. »Das geht zu weit!«
»Wirklich? Na gut, doch hat der Ingrimm einen Freibrief, wie einer so schön bei Shakespeare sagt.«
»Ich nehme an, damit willst du andeuten, dass sie beschnitten wurde?«
»Man hat ihre Genitalien verstümmelt. Ihnen allen, all diesen wunderschönen Frauen. Neunundneunzig Prozent aller Somalis. Und jetzt sollten wir das Thema wechseln.« Wexford schenkte ihnen beiden stilles Wasser nach. »Wahrscheinlich hatte Hexham in Lewes um 14.20 Uhr den Zug genommen, der um 14.42 in Kingsmarkham ankam. Wir wissen, dass der arme Kerl auf Grimble’s Field sein Ende gefunden hat. Außerdem liegt die Vermutung auf der Hand, dass er mit einem der Bahnhoftaxis nach Flagford gefahren ist – ein Ort, an dem er zuvor vielleicht noch nie gewesen war.«
»Warum sagst du das?«
»Laut Selina Hexham sind ihre Eltern nur zweimal in Sussex gewesen: zu Besuch bei den Davidsons in Lewes und einmal zu einem Familienurlaub in Worthing. Alan Hexham scheint ziemlich verschlossen gewesen zu sein. Vielleicht war er schon manchmal hierhergekommen, ohne es seiner Frau oder den Kindern zu sagen, aber irgendwie glaube ich nicht daran.«
»Er war nur in einem einzigen Punkt verschlossen: was seine Tätigkeit in diesem Arbeitszimmer betraf.«
Matea kam mit ihren Biryanis, einem Teller Naan-Brot und einer Platte mit Gewürzen und Chutneys. Eine Frau mit so langen schlanken Händen hatte Wexford noch nie gesehen. Auch Burden waren Mateas Hände aufgefallen. »Ihre Handgelenke sind so zierlich wie bei manchen Frauen die Finger«, sagte er prompt.
»Halt doch die Klappe«, sagte Wexford in scharfem Tonfall. »Aber zurück zu deiner Bemerkung vor dieser kitschigen Übertreibung. Vermutlich hast du recht. Im Übrigen scheint er ein ziemlich offener Mensch gewesen zu sein, ein guter Vater, ein guter Lehrer und mit Sicherheit ein guter Ehemann. Aufgrund dessen, was ich mittlerweile über ihn weiß, würde es mich sehr überraschen, wenn es in seinem Leben jemals eine andere Frau gegeben hätte. Wahrscheinlich hat er nicht einmal eine angeschaut.« Der letzte Satz war mit einem bedeutungsvollen Seitenblick auf Burden gemünzt.
»Egal was er in diesem Zimmer getrieben hat, ich bin ziemlich sicher, dass es nichts – Unehrenhaftes gewesen ist, falls dieses Wort heutzutage nicht zu altmodisch klingt.«
»Ich frage mich eines«, warf Burden nachdenklich ein. »Könnte er nicht etwas gemacht oder versucht haben, was seine Familie erst erfahren sollte, nachdem er damit … Erfolg gehabt hatte?«
»Interessant. Weiter.«
»Vielleicht war er dabei, ein Geschäft aufzubauen. Vielleicht hatte er etwas erfunden, eine Kleinigkeit, etwas Praktisches. Schließlich war er Naturwissenschaftler.«
»Ja, allerdings Biologe und kein Ingenieur. Egal was es war, es muss etwas gewesen sein, wozu man nur sehr wenig Geräte benötigte, und das wahrscheinlich auch kaum Kosten verursacht hat.«
»Wollte er damit Geld verdienen? Was glaubst du?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Wexford. »Geld brauchten sie mit Sicherheit. Ein größeres Haus hätte ihnen gut getan. Trotzdem habe ich
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