Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote
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Also hatte Tredown das mit Sicherheit auch getan, doch das sagte Wexford nicht laut. Kaum hatte sie aufgelegt, schnappte er sich Der Sohn des Nun – dabei merkte er, dass die Leihfrist bereits abgelaufen war – und Die Königin von Babylon und blätterte beide durch. Er suchte nach Ähnlichkeiten, aber hier irrte er sich. Die Themen waren grundverschieden, jedenfalls scheinbar auf den ersten Blick. Trotzdem bestätigte sich sein Verdacht. Tredown interessierte sich offensichtlich ungemein für fremde Götter und ihre Verehrung in Ritualen und Opfern, für Baal und Dagon und Astaroth, Gottheiten, die er schon in Der erste Himmel erwähnt hatte. Eines erkannte Wexford: Für die Liebhaber solcher Geschichten war dieses Buch aufregender und spannender als Tredowns sämtliche Bibelepen, die er gelesen hatte. Trotzdem erkannte man an der eigenwilligen Note, an der Atmosphäre, Tredowns Handschrift wieder. Vielleicht lag es an seinem Schreibstil, bei dem sich gewisse Lieblingswörter wiederholten, ja, sogar an der Art, wie er seine Hauptfiguren schilderte.
» Der erste Himmel erschien Mitte der Neunzigerjahre«, meinte er zu Dora. »Hast du später noch etwas von ihm gelesen?«
Nein, hatte sie nicht. »Wenn du willst, kann ich dir morgen eines aus der Leihbücherei holen.«
»Ich möchte nur wissen, ob er seine alten Lieblingsthemen wieder aufgegriffen hat oder ob Der erste Himmel eine Art Wendepunkt in seiner Karriere darstellt. Gibt es zum Beispiel irgendwelche Fortsetzungen?«
»Ich werde dir das ganze Paket besorgen«, sagte Dora mit hochgezogenen Augenbrauen.
Insgeheim hielt Barry Vine die namentliche Identifizierung der Leiche aus Grimbles Keller für unwichtig. Der Mann hatte zum fahrenden Volk gehört, ein Zigeuner, ein Wanderarbeiter oder wie man solche Leute auch nennen mochte. Er hatte unbefugt fremden Grund und Boden betreten und war von einem alten Irren erschossen worden. Für die Polizeiarbeit war Letzeres jedoch entscheidend, und bei Wexford stand es an oberster Stelle. Deshalb waren Barry und Lyn zu einer Frau in Maidstone unterwegs, die vielleicht eine Frau gekannt hatte, deren Freund im September 1998 mit ihr Schluss gemacht hatte und der unter Umständen …
»Einen Versuch ist’s doch wert, Sarge, oder?«, meinte Lyn, die bei ihren Recherchen auf Lily Riley gestoßen war.
»Sie war eine Bekannte meiner Tochter«, sagte Lily Reily, während sie ihnen im Wohnzimmer ihres Häuschens einen Tee servierte, der an indische Gemüsesuppe erinnerte. »Sie und diese Bridget sind immer zusammen zum Obstpflücken gegangen. Meistens droben in der Nähe von Colchester, aber in einem Jahr sind sie hier heruntergekommen. Deshalb konnte Michelle bei mir wohnen. Bridget natürlich nicht. Sie hatte ihren eigenen Wohnwagen.«
Nach einem Blick in ihre Liste wollte Lyn wissen: »Handelt es sich dabei um Bridget Cook und Michelle Riley?«
»Ganz genau. Michelle hat sie mitgebracht, zusammen mit ihrem Freund – ich meine, mit Bridgets Freund. Den hab ich nur einmal gesehen. Zuvor ist er in Flagford gewesen, hat Michelle gemeint, vor drei oder vier Jahren, für die Erdbeeren. Diesmal haben sie Pflaumen gepflückt, Victoria-Pflaumen.«
»Mrs. Riley, erinnern Sie sich noch an seinen Namen?«
»Dusty haben sie ihn gerufen. Na ja, Bridget nicht, die hat ihn anders genannt, aber wie, das weiß ich nicht mehr. Die zwei, Dusty und Bridget, blieben im Wagen. Michelle war hier drin bei mir.«
»Mrs. Riley, Sie haben gesagt, Sie hätten ihn gesehen. Wie hat er denn ausgesehen?«
»Gut«, meinte sie. »Na ja, wahrscheinlich könnte man ihn als gut aussehenden Mann bezeichnen. Wissen Sie, auf mich hat er immer schmutzig gewirkt, aber ich behaupte mal, dass ich pingelig bin. Bridget hat ihm immer in den Ohren gelegen, er solle sich waschen. Eines erzähle ich Ihnen noch: Im Wohnwagen ist er ständig mit dem Kopf an die Decke gestoßen, so groß war er, wissen Sie?«
Mrs. Riley bestand auf einer zweiten Teerunde und ging, um ihnen nachzuschenken.
»Das ist er, Sarge«, rief Lyn aufgeregt. »Der Typ aus dem Keller war einen Meter neunzig groß.«
»Sieht so aus«, schränkte der eher vorsichtige Barry ein. »Trotzdem sollten wir einstweilen noch keine voreiligen Schlüsse ziehen.«
Als das Tablett zum zweiten Mal auf dem Tisch stand, kam Lily Riley richtig in Fahrt. »Er und Bridget haben vom Heiraten geredet. Eines weiß ich noch: Bridget hat zu Michelle gesagt, er sei wirklich zu jung für sie, weil er erst vierzig
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