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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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nickte. «Ich verspreche es.» Dann lächelte sie ihr trauriges, altjüngferliches Lächeln und drohte ihm mit dem Finger. «Aber wir wissen doch beide, Mr. Jury, daß Sie mir nicht alles erzählen können. Auch wenn es Ihr Fall ist. Das steht jedenfalls da in der Zeitung.» Letzteres sagte sie so stolz, als wäre Jury ein schwarzes Schaf der Familie, das endlich einmal bewiesen hatte, daß etwas in ihm steckte.
    «Lassen wir das beiseite. Soviel kann ich Ihnen jedenfalls sagen: Diese Person, die sie den Schlächter nennen und der angeblich in ganz London sein Unwesen treiben soll – das sind Lügenmärchen. Er tötet nicht unterschiedslos Fr-, ich meine Leute. Er weiß genau, was er will, und er kennt seine Opfer genau.»
    Sie glaubte ihm. Wie immer. Nur – wie er sich zufrieden sagte –, diesmal stimmte es tatsächlich. Fast hatte er das Gefühl, dabei selbst der Wahrheit etwas nähergekommen zu sein. Jury lächelte. Es war sein erstes von Herzen kommendes Lächeln an diesem Tag.
    Darauf zeigte ihr Gesicht den Ausdruck eines Ertrinkenden, der endlich an die Wasseroberfläche hochtaucht.
    Luft , schien es zu sagen. Gott sei Dank.

29
    Jury betrat Racers Vorzimmer und zwinkerte Fiona Clingmore zu, die daraufhin die Inspektion ihrer frisch lackierten Fingernägel unterbrach, um seinen Blick auf Wichtigeres zu lenken. Fiona rückte Busen und Beine zurecht und stützte ihr sorgfältig geschminktes Gesicht auf die verschränkten Hände. «Sie sind spät dran», sagte sie mit einem Blick auf Chief Superintendent Racers Tür.
    «Was ihn angeht, immer.»
    Jury öffnete die Tür (justament in dem Augenblick, als Racer sein Toupet zurechtrückte, was die Stimmung nicht gerade hob), durchquerte das Zimmer, machte es sich auf dem Stuhl vor Racers Schreibtisch bequem und sagte: «Hallo.»
    Racer, der hierüber sogar sein Toupet vergaß, starrte Jury an, als habe der endgültig den Verstand verloren. «Ich muß doch sehr bitten, Superintendent. »
    «Wieso?» Jury musterte sein Gegenüber unschuldig aus klaren, sanften, taubengrauen Augen. Er wußte, es lohnte nicht, Racer zur Raserei zu treiben, aber er geriet stets von neuem in Versuchung.
    « Wieso? »Blut schoß ihm ins Gesicht, so daß es die Farbe der Nelke annahm, die sein Knopfloch zierte. «Wir begrüßen unsere Vorgesetzten nicht mit ‹Hallo›.»
    «Oh, tut mir leid. Sir», fügte Jury hinzu, als wäre ihm das gerade noch rechtzeitig eingefallen.
    Racer lehnte sich zurück, betrachtete Jury mit einem Mißtrauen, das Polizisten sich gewöhnlich für kriminelle Elemente vorbehalten, und meinte: «Einmal werden Sie den Bogen überspannen, Jury.»
    Eine überflüssige Bemerkung, dachte Jury, der sich schon gar nicht mehr erinnern konnte, jemals nicht den Bogen überspannt zu haben. «Sie wollten mich sprechen?»
    «Selbstverständlich wollte ich Sie sprechen. Gestern. Wegen dieser Farraday. Noch eine Amerikanerin, die auf offener Straße massakriert wird; die amerikanische Botschaft möchte wissen, was zum Teufel los ist. Verständlich, nicht? Also, was ist los, Jury?»
    «Fragen Sie mich, ob ich diese Mordserie aufgeklärt habe? Die Antwort ist nein.»
    «Ich will einen Bericht haben, Superintendent», zischte Racer durch die Zähne.
    Jury tat wie befohlen und schilderte den Zustand, in dem man Amelia Farradays Leiche gefunden hatte, ohne auch nur ein einziges blutiges Detail auszulassen. «… irgendwann zwischen elf und kurz nach Mitternacht. Halb eins vielleicht.»
    «Motiv?» schnappte Racer.
    «Wenn ich das wüßte, würde ich auf der Straße tanzen!»
    «Wiggins?» Racer hatte sich in letzter Zeit diese elliptische Ausdrucksweise zugelegt, zweifellos um seinen Untergebenen das Leben noch schwerer zu machen.
    Jury runzelte die Stirn. «Was ist mit ihm?»
    «Was er tut, Mann? Außer seine Umgebung mit allen möglichen Krankheiten anzustecken.» Racer sah auf die Papiere auf seinem Schreibtisch. «Dieses Gedicht. Die Pestilenz. Sergeant Wiggins ist für diesen Fall genau der Richtige.» Er lehnte sich zurück, um eine Lektion vom Stapel zu lassen. «Ich habe mich ein wenig sachkundig gemacht. ‹Gott erbarme dich unser› schrieben sie damals auf ihre Türen.» Er machte eine Bewegung mit dem Zeigefinger, als wäre die Luft die Tür, vor die er Jury am liebsten setzen würde. «Wußten Sie, daß es Zeichen gab, von denen man annahm, sie würden die Pest ankündigen? Die gleichen Zeichen sehe ich auch, wenn Wiggins den Flur entlanggeht – Kröten mit langen

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