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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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keineswegs sicher. «Die Opfer waren alle Frauen, Sammy.»
    «Aber Richard, er hätte doch einen Paß gebraucht, um das Land zu verlassen.»
    «Es ist nicht besonders schwer, sich einen Paß zu besorgen, Sam. Wie dem auch sei, wenn du mich sprechen willst, ich bin zu Hause.» Er gab Lasko seine Nummer in Islington, legte auf und schwang sich in seinem Drehstuhl herum, um auf die schmutzverkrusteten Scheiben seines Fensters zu starren.
    Es mußte etwas mit den Farradays zu tun haben. Den weiblichen Farradays. Es war nur noch eine übrig: Penny.
     
    «Mr. Jury –»
    Es war Mrs. Wasserman aus der Kellerwohnung, die auf seiner Türschwelle stand, ihren dunklen Morgenrock am Hals zusammenhielt und ihm die Tageszeitung entgegenstreckte.
    Jury sah, wie ihre Hand zitterte. «Kommen Sie rein, Mrs. Wasserman.» Er fragte nicht, wieso sie zu dieser (für sie) späten Stunde noch auf war, denn er wußte es bereits. Sie hatte vermutlich hinter ihren dunklen Vorhängen am Fenster gesessen und den ganzen langen Tag und die noch längere Nacht auf den Polizisten gewartet, der über ihr wohnte. Das kam häufiger vor.
    Sie kam herein, immer noch mit der einen Hand ihren Morgenrock zusammenhaltend, schloß schnell die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, während sie mit der anderen Hand den Türknauf umklammert hielt.
    Jury unterdrückte ein Lächeln. Die Szene glich einer Einstellung aus einem alten Bette-Davis-Film. Doch Mrs. Wasserman schauspielerte nicht. Das wurde ihm klar, als er auf das Machwerk der Londoner Sensationspresse in ihrer Hand sah; das übliche Nacktfoto auf der Titelseite hatte der Nachricht vom «Schlächter» weichen müssen. Wenn sich Mrs. Wasserman in diesem Aufzug um ein Uhr morgens die Mühe machte, zwei Treppen hinaufzusteigen, dann war sie wirklich nervös.
    Britische Zeitungen hatten sich lobenswerterweise immer um eine gute Zusammenarbeit mit der Polizei bemüht, indem sie zum Beispiel bei der Berichterstattung über Morde auf die grausigen Details verzichteten. Das war auch notwendig, weil da draußen zu viele potentielle Schlächter herumliefen, die alle nur auf einen modus operandi warteten, um sich vom Kuchen des öffentlichen Interesses ein Stück abzuschneiden. Die betreffende Zeitung bewegte sich jedoch in ihrer Schilderung in allzu großer Nähe der Blutlache, in der Amelia Farraday aufgefunden worden war. Oh, zugegeben, einiges blieb der Phantasie überlassen. Doch die ständige Wiederholung des Wortes «Verstümmelungen» würde sogar eine weniger phantasiebegabte Person als Mrs. Wasserman in Angst und Schrecken versetzt haben.
    «‹Der Schlächter› – was für ein schrecklicher Name. Irgendwo, Mr. Jury, irgendwo da draußen lauert er. Läuft herum und sieht aus wie jedermann.»
    Jury befürchtete, daß ihre maßlose Angst sich noch steigern würde, wenn sie erführe, daß der Schlächter genausogut eine Frau sein konnte. Ihre Verfolgungsangst war so schlimm, daß Jury sie immer wieder mit neuen Tips für Türriegel, Fenstergitter, Schlösser, Schlüssel und Ketten beruhigt hatte. Und mit immer neuen Lügen. Er wußte schon nicht mehr, wie viele Geschichten er über die Londoner Polizei erfunden hatte, insbesondere über deren Unfehlbarkeit, wenn es darum ging, Frauen auf den Straßen zu beschützen.
    Er wußte, daß sie dort unten in ihrer verbarrikadierten Kellerwohnung in dem gelegentlichen Schritt eines Passanten auf dem Gehsteig eine Armee marschierender Füße vernahm. Und in dieser Armee marschierte auch immer ihr Verfolger mit – die Füße, die stehenblieben, die Gestalt, die auf der Lauer lag, der Schatten auf dem Gehsteig. Jury konnte in ihrem Geist all die sorgfältig ausgesuchten, Sicherheit symbolisierenden Gegenstände sehen – Riegel, Schlösser, Ketten –, die sämtlich zu einer dalfesken Landschaft verschmolzen und wie dunkles Blut an ihrer Tür herunterflossen.
    Sein Gesichtsausdruck mußte ihn verraten haben. «Sie sehen, ich habe recht, Mr. Jury. Heutzutage ist es schon gefährlich, nur einen Fuß nach draußen zu setzen –»
    Er nahm ihren Arm und drückte sie in den Ledersessel, das einzige gute Möbelstück im Zimmer. «Nein. Keineswegs.» Er schleuderte die Zeitung, aus der man fast das mit Druckerschwärze vermischte Blut riechen konnte, außerhalb ihrer Reichweite auf den Schreibtisch. «Und ich sage Ihnen auch, warum, aber nur, wenn Sie mir versprechen, morgen keine Zeitung zu kaufen. Versprechen Sie das?»
    Sie faltete die Hände im Schoß und

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