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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Sie ihn heute morgen gesehen?»
    «In Deptford, selbstverständlich … oh, Sie meinen den Bruder?»
    Auf Jurys Nicken sagte Melrose: «Im Britischen Museum natürlich. Sie sind zusammen weggegangen.»
    «Wie fanden Sie Jonathan?»
    «Eisig. Und Harvey nimmt der nicht die Bohne ernst.»
    «Haben Sie Penny gesehen?» Als Plant den Kopf schüttelte, sagte Jury: «Ich will, daß Penny auf keinen Fall dieses verdammte Hotel verläßt.»
    Das wurde so heftig hervorgestoßen, daß Melrose zusammenzuckte. «Wenn Sie nicht wollen, daß Leute sich frei bewegen, dann müssen Sie sie in – wie heißt es noch gleich? – Schutzhaft nehmen.»
    «Penny sollte ich in einen Schrank sperren.» Jury leerte sein Glas und erhob sich.
    «Wohin gehen Sie?»
    «Jonathan Schoenberg einen Besuch abstatten.»
    Er hatte die Tür fast erreicht, als Plant ihn noch einmal zurückrief.
    «Hören Sie, da wäre noch eine Kleinigkeit –»
    Jury drehte sich um. «Was für eine Kleinigkeit?»
    «Nun, wahrscheinlich ist es nichts von Bedeutung, aber es geht um dieses verfluchte Gedicht. Es ist von Thomas Nashe.»
    Jury kam ins Zimmer zurück. «Glauben Sie mir, ich weiß mittlerweile, wer es geschrieben hat.»
    «Nun, das ist genau der Punkt, alter Knabe», sagte Melrose und leerte ebenfalls sein Glas. «Was ich nicht verstehe, ist, wieso Harvey Schoenberg es nicht wußte.»
     
    Die Stille war mit Händen zu greifen. «Was meinen Sie damit?» sagte Jury schließlich.
    «Zum Beispiel habe ich es Jonathan gezeigt. Er hat es sofort erkannt. Vor allem wegen der einen Zeile, ‹Ein goldner Schimmer in der Luft›.»
    «Schoenberg hat einen Lehrstuhl für englische Literatur – es ist sein …» Jury verstummte.
    «Genau. Sie wollten ‹Spezialfach› sagen. Aber überlegen Sie doch mal – ich kann Ihrem Gesicht ansehen, daß Sie das tun –, Jonathan Schoenberg kennt seinen Shakespeare, daran zweifle ich keine Sekunde. Und seinen Marlowe auch. Aber ich mache jede Wette, daß er Harvey nicht das Wasser reichen kann, was pure Fakten betrifft. Thomas Nashe war einer der besten Freunde Christopher Marlowes. Sie hatten noch nicht das Vergnügen, Harvey zuzuhören, wenn er mit elisabethanischen Namen um sich wirft. Ich bin in Stratford in der Bibliothek gewesen. Harvey hatte mir alle möglichen ausgefallenen Dinge aus Marlowes Leben erzählt. Marlowe war berüchtigt für seine Schlägereien und Duelle. Harvey hat mir alles haarklein erklärt – in Hog Lane gab es eine Schlägerei auf der Straße, die mit einem Duell endete. Harvey kannte die Namen aller Beteiligten. Dann müßte er eigentlich auch wissen, daß Nashe dabeigewesen war. Der Name Nashe zieht sich wie ein roter Faden durch Marlowes Leben. Er hat sogar eine Elegie geschrieben: Über Marlowes frühen Tod – »
    Plant schwieg, zündete sich eine kleine Zigarre an und blickte zu Jury hoch. «Der Punkt ist, alter Knabe … warum hat er gelogen?»
     
    «Miss Farraday?» Die hübsche Hotelangestellte an der Rezeption hatte sich mittlerweile so an die Anwesenheit der Polizei gewöhnt, daß es sie kaum noch interessierte. «Ich glaube, sie ist ausgegangen, Superintendent. Aber ich versuche es trotzdem in ihrer Suite.»
    Niemand antwortete.
     
    Jenseits der Themse sehnte der Wirt des «Halbmonds» die Sperrstunde herbei. An diesem Nachmittag hatte er kaum Gäste gehabt, abgesehen von den Jungs an der Theke, wo er die Drinks einen Penny billiger verkaufte. Schlägertypen und Rowdies.
    Vom Umsatz des Nachmittags gelangweilt, schenkte er sich einen Drink ein und ging dann den Flur entlang zur Toilette. Auf dem Weg dorthin warf er zufällig einen Blick in das leere Zimmer links von der Toilette und wunderte sich, warum seine Frau das schummrige Deckenlicht angelassen hatte. Er streckte den Arm aus, um es auszudrehen. Die Augen traten ihm fast aus den Höhlen.
    Und dann fiel er in Ohnmacht.

30
    Noch bevor Wiggins den Wagen anhielt, hatte Jury bereits die Tür geöffnet und seinen Fuß auf den von Polizeiautos gesäumten Bürgersteig gesetzt. Ein paar uniformierte Polizisten hatten die Stelle abgesperrt und drängten die Schaulustigen zurück, die sich bei dergleichen Anlässen zu versammeln pflegen.
    «Hier hinten, Superintendent», sagte der Sergeant, der sie angerufen hatte.
    Drinnen verursachte die Polizei ein weitaus größeres Chaos als die Neugierigen draußen. Jury wurde Detective Inspector Hatch vorgestellt, der ihn durch den spärlich beleuchteten Flur in ein Zimmer zu ihrer Linken

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