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Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Titel: Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matha Grimes
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Etablissement war. Dies war ein Detail, das er noch gar nicht in Betracht gezogen hatte. Er würde vermutlich auf der kleinen Veranda oder im Garten rauchen müssen und konnte bloß hoffen, dass die nicht auch zur rauchfreien Zone gehörten.
    Es war absurd – er kam sich wie ein Eindringling vor, als stellte selbst die Verdrängung der Luft, durch die er sich bewegte, ein Eindringen dar. Ob er wohl in der Lage wäre, hier ganz entspannt in einem Sessel zu sitzen, aus einer Tasse zu trinken, mit einer Gabel zu essen? Wie auch immer, schließlich war er es gewesen, der der Dame vom National Trust eigens gesagt hatte, nein, man bräuchte niemanden extra hierherzuschicken, er könne den Umzug schon allein bewerkstelligen.
    Er hielt immer noch seinen Mantel in der Hand. Weil er weder einen Garderobenschrank noch einen Kleiderhaken sah, drapierte er den Mantel sorgfältig um ein Treppengeländer und begann seinen Rundgang durchs Haus.
    Nun, er würde sich schon daran gewöhnen. Er wäre bestimmt bald lockerer. Sich so recht davon überzeugen konnte er allerdings nicht.
    Im Speisezimmer inspizierte er das James’sche Journal, das dort zur Ansicht ausgelegt worden war. Welch elegante Handschrift! Ganz zu schweigen von den Sprachspielereien. Beides zusammengenommen vermittelte Melrose das Gefühl, er sollte besser nie wieder ein Wort schreiben. Statt Worten würde er Rauchzeichen verwenden.
    Von dort begab er sich in einen wie ein Salon anmutenden Raum und war gerade dabei, den Blick über den Bücherschrank schweifen zu lassen, als er ein Räuspern vernahm und sich umdrehte.
    Eine Frau – ach, er hatte ja die Köchin ganz vergessen! – stand dort, kugelrund, frisch gestärkt, blitzsauber und picobello, ein Überbleibsel aus alten Zeiten.
    »Sind Sie Mrs. Jessup?«
    »Ja, Sir. Verzeihen Sie, Sir, dass ich Ihnen nicht aufgemacht hab. Ich war draußen im Garten.«
    »Schon gut. Ich bin sehr froh, dass Sie bleiben, besonders weil mein letztes Kocherlebnis damit endete, Nachbars Katze in den Topf zu werfen. Ich war damals vier.«
    Mrs. Jessup lachte. »Das denken Sie sich aber doch aus, Sir, oder nicht?«
    »Seien Sie sich da mal nicht so sicher. Wollten Sie gerade fragen, ob ich mein Teestündchen abhalten will?«
    »Das wollte ich tatsächlich.«
    »Dem Himmel sei Dank. Das will ich nämlich.«
    »Möchten Sie Ihren Tee hier drin einnehmen, Sir, oder im Speisezimmer?«
    »Ach, dieses Zimmer ist mir sehr genehm.«
    Sie trollte sich.
    Eigentlich, dachte Melrose, sollte er sein Gepäck hinaufbringen und auspacken, hatte aber keine Lust. Er wollte in diesem freundlichen Raum sitzen und diese Bücher betrachten, von denen die meisten – was kaum überraschte – von Henry James stammten. Er überlegte, ob es sich um Erstausgaben handelte. Würde der Trust wohl so wertvolle Bücher herumliegen lassen, damit die Mieter sie stibitzen oder Besucher sie stapelweise mitgehen lassen konnten? Vermutlich nicht, es waren wohl eher spätere Exemplare. Er nahm eines davon aus dem Regal – Die Flügel der Taube –, sah auf die Copyright-Seite und stellte fest, dass es offenbar tatsächlich eine Erstausgabe war. Er schlug das Buch irgendwo in der Mitte auf, und hier waren sie auch schon – Kate Croy und Milly Theale. Er versuchte, sich die Geschichte wieder ins Gedächtnis zu rufen. Hatte Kate nicht ihren mittellosen Liebhaber auf die reiche Milly angesetzt, in der Erwartung, das unglückselige Mädchen würde ihm ihr Vermögen hinterlassen? Was für ein intriganter Schachzug!
    Was für eine absolut schreckliche Geschichte! Allerdings wohnte den Romanen von James doch immer ein gewisses Element der Gewalt inne. Die Seelenqualen Charlottes – wie hieß sie weiter? Er kam nicht auf den Nachnamen. War es Stant? – in Die goldene Schale. Die Ververs hätten ihr genauso gut Säure ins Gesicht schütten können, wie sie in die Staaten zu expedieren, wo sie auf immer der Freuden der feinen Londoner Gesellschaft und des Prinzen verlustig gehen würde. Und die schlimmste Strafe war, dass alle wussten, was es geschlagen hatte, alle außer der guten alten Charlotte. Aber keiner ließ etwas heraus. Wie immer bei James glitt man gewandt über die zugefrorene Oberfläche des Sees; aber wehe, wenn die Spitzhacken hervorgeholt wurden, um das Eis zu brechen.
    Bildnis einer Dame. Der grauenvolle, gefürchtete Gilbert Osmond. Was für Seelenqualen! Und natürlich war da noch Der Wunderbrunnen. Über diese Seite von James hatte Melrose eigentlich nie

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