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Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen

Titel: Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matha Grimes
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Boring’s war eben das einzig Echte, Wahre!
    Diese angenehme Erkenntnis im Sinn, packte er seine paar Sachen aus und begab sich dann auf einen Drink hinunter.

    Und so saß Melrose nun um sieben Uhr im Klubraum und wartete auf Jury. Mit dem Whiskey in der Hand musste er aussehen, als wäre er überhaupt nie weggewesen, wie das schwatzende Grüppchen dort drüben oder die anderen in ihren diversen Stadien von Schlaftrunkenheit. Dabei war dies die belebte Stunde, die heilige Stunde, während der man in Erwartung des baldigen Abendessens ein paar Drinks zu sich nahm.
    Seine Kumpane, Major Champs und Oberst Neame, waren nicht zugegen. Er genoss die verhaltene Stille. Keine lauten Stimmen, kein heiseres Gelächter, keine Handys.
    Er schlug den Wunderbrunnen auf und las dort über eine Feier in Newmarch, die ein unglaublich naseweiser Erzähler darbot. Melrose musste über diesen sonderbaren Austausch von Lebenskraft nachdenken, der dazu führte, dass der junge Partner alt und der alte jung wurde. So geschehen war es den Brissendens, und so würde es womöglich auch noch anderen in Newmarch geschehen, wenn der Erzähler ihrer habhaft werden konnte.
    Was in drei Teufels Namen bezweckte Henry James eigentlich mit diesem Vampir-Thema? Während Melrose darüber nachgrübelte und sein nicht ganz leeres Glas über die Rückenlehne seines Armsessels hielt, als Zeichen für den Kellner, ihm ein neues zu bringen, fühlte er es plötzlich aus der Hand gleiten – verdammt, diese Kellner waren ja so was von flink! – und hörte eine Stimme danke sagen.
    Er fuhr mit dem Kopf herum und gewahrte Richard Jury, der sich gerade das Restchen Whiskey zu Gemüte führte, bevor er Melrose das leere Glas zurückgab. »Das brauchte ich jetzt.«
    »Na, dann besorgen Sie sich doch Ihren eigenen.«
    »Habe ich auch vor. Was lesen Sie da?«
    Der junge (der einzige junge) rotblonde Kellner schlenderte mit seinem Tablett vorbei und nahm die Bestellung für zwei Whiskeys entgegen.
    » Der Wunderbrunnen. Ziemlich plump und schwer.«
    »Meine Güte, es ist eben Henry James. Was erwarten Sie denn?«
    »Nun, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Henry James über Vampire schreibt.«
    »Es ist nicht über sie. Es ist das Thema. «
    »Wie kann es ein Thema sein, wenn da keine Vampire aus Transsylvanien antanzen?«
    »Das ist Dracula«, sagte Jury. »Der ist aber nicht der einzige Vampir weit und breit.«
    »Es sind also doch Vampire in der Geschichte, bloß eben nicht Dracula.«
    Um Geduld bemüht, meinte Jury: »Nein. Richtige, reale, lebende Vampire kommen darin gar nicht vor.«
    »Dann hat es mit den Brissendens etwas ganz anderes auf sich? Es gibt da nämlich dieses Ehepaar namens Brissenden. Der Erzähler stellt verblüfft fest, dass Mrs. Brissenden viel, viel jünger aussieht als zuvor und dass Brissenden selbst, der eigentlich mehr als zehn Jahre jünger ist als seine Frau, jetzt zwanzig Jahre älter aussieht.« Derart gefesselt von dieser Geschichte, als hätte er sie selbst geschrieben, beugte sich Melrose in seinem Sessel vor. »Sie sehen also: Mrs. Brissenden trinkt aus dem Wunderbrunnen die Lebenskraft ihres Gatten. Sie trinkt kein Blut, sondern Leben.«
    »Was gibt’s heute zum Abendessen?«
    Melrose sank zurück. »Sie haben überhaupt nicht hingehört, was ich gesagt habe.«
    »Doch. Ich habe jedes Wort wie Blut aufgesogen.«
    »Sehr witzig. Zum Piepen. Gehen wir essen.«

    Sie veranstalteten wieder ihren alten Wettbewerb über die Frage, was bei Boring’s wohl serviert werden würde. An diesem Abend hatte Jury auf Seezunge getippt und Melrose auf Rind.
    Gewandt breitete ihnen der junge Higgins die großen schneeweißen Servietten auf den Schoß und sagte: »Heute Abend haben wir eine hervorragende Seezunge.«
    Melrose fluchte leise. Sie bestellten Seezunge.
    »Jetzt hab ich’s, warum Sie immer gewinnen«, sagte Melrose, als der junge Higgins sich getrollt hatte, um die Suppe zu holen. »Bevor Sie in den Klubraum kommen, schauen Sie kurz in der Küche vorbei, um zu sehen, was es zum Essen gibt.«
    »Das ist doch absurd! Glauben Sie wirklich, ich bin so kindisch? Sie sind ja bloß sauer, weil Sie wieder verloren haben. Was für einen Wein nehmen wir?« Jury hatte die Weinkarte aufgeschlagen. »Hier ist ein schöner Côtes du Rhône, die halbe Flasche für hundert Mäuse. Können Sie sich das leisten?«
    Melrose riss Jury die lederne Mappe aus der Hand. Er entschied sich für einen Chardonnay zu dreißig Pfund die Flasche und sagte:

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