Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
»Ob ich es mir leisten kann? Wieso übernehme eigentlich immer ich die Rechnung?«
»Weil Sie reich sind.«
»Womit Sie nicht unrecht haben. Was haben Sie herausbekommen?«, fragte er, während der junge Higgins ihnen die Suppe hinstellte.
»Worüber?«
»Worüber? Über den Grund, weshalb wir hier sind. Über Billy Maples, über den Mord, über Lamb House.«
»Ich habe vorhin mit Billys ehemaliger Geliebter gesprochen. Sie haben sich getrennt. Eine Frau namens Angela Riffley.« Jury schüttelte lachend den Kopf.
»Was ist daran so komisch?«
»Es ist nur … sie ist … unschlagbar. Ich bezweifle, dass Sie sich irgendetwas denken können, was die nicht schon gemacht hat oder wovon sie zumindest äußerst talentiert den Eindruck vermittelt, sie hätte es gemacht.«
»Heh, heh. Die talentierte Mrs. Ripley.«
Jury lachte. »Sehr gut. Mit einem Wort – das ist sie. Jeder behauptet, Billy Maples sei launisch gewesen. Ich habe allmählich den Eindruck, es handelte sich um mehr als nur Launenhaftigkeit. Womöglich war er manisch-depressiv. Heutzutage verwenden wir natürlich den beschönigenden Begriff bipolare Störung.«
»Sie glauben, das war Billys Problem?«
»Ich würde jedenfalls gern seine Krankenakte einsehen. Es ist aber auch gut möglich, dass es nie bei ihm diagnostiziert wurde.« Jury war höchst erfreut, als die Suppe der Seezunge Platz machte. Gab es etwas Feineres als Seezunge? Dazu servierte man neue Kartoffeln, Karotten und Rosenkohl. »Hilda Tripp –«
»Wer ist das denn?« Melrose brach sich ein Stück von einem Brötchen ab.
»Was Hilda betrifft, kam Billy gleich hinter dem lieben Herrn Jesus.« Jury berichtete von seinem Gespräch in der Kunstgalerie.
»Was ist mit diesem Brunner? Und mit Billys Großvater? Der müsste ihn doch besser kennen als sonst irgendwer, nach dem, was Sie mir erzählt haben.«
»Sir Oswald sagte, er habe Stimmungsschwankungen gehabt. Meine gegenwärtige Stimmung ist zum Beispiel wirklich gut, weil ich wieder mal den Abendessen-Wettbewerb gewonnen habe.«
»Bin ich froh, dass Sie nicht in den Henry-James-Wettbewerb eingeweiht waren. Eigentlich freue ich mich auf Lamb House. Das wird bestimmt recht angenehm, so völlig in die James’sche Welt einzutauchen.«
Das hörte Jury nun gar nicht gern. »Vergessen Sie nicht, weshalb Sie dort sind. Und fangen Sie um Himmels willen bloß nicht an zu schreiben oder so etwas in der Richtung.«
»Schreiben – wem denn? Ihnen?«
»Nicht Briefe. Ein Buch. Kaum sind Sie vierundzwanzig Stunden in Lamb House, bilden Sie sich schon ein, Sie wären Romanautor.«
»Aber das ist doch absurd! Obwohl … wissen Sie was? Ich könnte meinen Kriminalroman zu Ende schreiben.«
Jury spießte eine neue Kartoffel auf und stöhnte. »Mit dem Detektivpärchen? Nick und Nora?«
»Norma.«
»Ach, na, dann bin ich ja erleichtert! Ich dachte schon, Sie bedienen sich bei Der dünne Mann. « Jury sah sich suchend nach dem jungen Higgins um. »Wo ist er? Ich hätte gern noch Rosenkohl.«
»Veggies.«
»Das ist ein Wort, das man mit einem Pfahl durchs Herz in den Erdboden rammen sollte. Noch so ein amerikanischer Ausdruck, der die Reise über den Atlantik geschafft hat und eigentlich unterwegs hätte untergehen sollen. Warum müssen die Amerikaner bloß so verdammt putzig sein?«
»Keine Ahnung. Wir könnten ja den Würger von Boston fragen. Weshalb bin ich dort? In Lamb House, meine ich.«
»Um sich umzusehen und umzuhören. Nicht, um einen Roman zu schreiben.«
»Ich soll mich vierundzwanzig Stunden am Tag umsehen und umhören?«
Jury nickte.
»Was, und darf nicht zu meiner Erbauung im Garten herumwerkeln und für die Köchin Bohnen schnipseln?«
»Nein. Die Köchin sollten Sie übrigens behalten, zusammen mit etwaigem weiterem Personal. Ich möchte insbesondere, dass Sie Kurt Brunner gut zuhören.«
»Verdrahtet? Mit einem kleinen Mann im Ohr?«
Jury hob den Blick von seiner Seezunge und sah Melrose albern grinsen. Er reagierte seinerseits mit einem Grinsen. »Den haben Sie doch schon.«
Was sollte das jetzt wieder heißen?
22
Es war ein sanfter Apriltag und sein Lammfellmantel viel zu warm. Melrose zog ihn aus und wollte ihn schon lässig über einen Sessel werfen, als ihm wieder einfiel, wessen Haus dies war. Oder gewesen war.
Würde es ihm mit jedem Vorhang und Teppich so gehen, mit jedem Dekorationsgegenstand und Aschenbecher? Beim Gedanken an Aschenbecher fragte er sich, ob Lamb House womöglich ein rauchfreies
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