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Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Rivington. Soll Sie jemand nach Hause begleiten? Wachtmeister Pluck?»
    Sie war aufgestanden, blickte aber immer noch auf den Boden. Sie schüttelte den Kopf. Ihre linke Hand hielt sein Taschentuch umklammert, mit der rechten strich sie sich den Rock glatt. Sie sagte nichts und ging mit gesenktem Kopf zur Tür.
    «Miss Rivington!»
    Sie wandte sich nach ihm um.
    Jury fühlte sich elend. «Das ist, ah, ein sehr hübsches Kleid, was Sie da anhaben.» Idiot, dachte er, wütend auf sich selbst.
    Aber es hatte ihr ein winziges Lächeln entlockt. Und schließlich blickte sie auch zu ihm hoch; ihr Gesicht war so todernst, und ihre Bernsteinaugen wirkten so gefaßt, daß er plötzlich von der Angst gepackt wurde, sie könne ihm diese ganze Serie von Morden gestehen.
    Als sie die Lippen öffnete, um zu sprechen, hätte er ihr am liebsten die Hand auf den Mund gelegt. «Inspektor Jury –»
    «Ist schon gut –»
    «Ich werde Ihr Taschentuch waschen.» Sie drehte sich um und ging aus dem Zimmer.

    «Lady A wird mir bis auf weiteres ein Paar Manschetten anlegen, Inspektor.» Marshall Trueblood schlug elegant ein Bein übers andere. «Sie ist überzeugt, daß ich es war. Du meine Güte, ich, der keiner Fliege was zuleide tun könnte. Oder gar dem reizenden alten Herrn.»
    «Wann haben Sie diesen Brieföffner das letzte Mal gesehen, Mr. Trueblood?»
    Er starrte einen Augenblick zur Decke hoch und meinte dann: «Genau kann ich Ihnen das nicht sagen. Vor ein paar Tagen vielleicht.»
    «Lassen Sie Ihren Laden oft unbeaufsichtigt?»
    «Ich geh manchmal zu Scroggs rüber; das ist gleich nebenan. Gewöhnlich schließe ich ihn dann nicht ab.»
    «Heute nachmittag hätte also jeder in Ihrem Laden ein- und ausgehen können, ohne daß Sie was bemerkt hätten?»
    «Ja, aber wer will das schon? Gibt es nicht so etwas wie einen Tatstil, Inspektor? Ich meine, warum plötzlich ein Messer? Alle andern wurden doch erdrosselt.» Trueblood besann sich. «Entschuldigen Sie, ich hätte mich vielleicht etwas anders ausdrücken sollen …»
    «Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, das ist eine gute Frage, Mr. Trueblood. Ich nehme an, das Messer diente demselben Zweck wie Darringtons Buch, das im Schwanen gefunden wurde: Es sollte den Verdacht auf einen andern lenken. Wer war heute in Ihrem Laden?»
    «Da war einmal Miss Crisp, die mir irgendwelchen Kram aus ihrem Ramschladen andrehen wollte. Die Gute hat es gewöhnlich mit Landfahrern zu tun und bildet sich ein, sie könne mir – mir, stellen Sie sich vor – einreden, ihr Silber sei georgianisch. Ich würde auf Zigeuner tippen –»
    Jury seufzte. «Können wir bitte beim Thema bleiben?»
    «Tut mir leid. Dann tauchte dieses Pärchen aus Manchester auf, das eine Kohlespur hinterließ und nach Art Deco suchte – fürchterliches Zeug. Und Lorraine, die Simon Matchett suchte. Wahrscheinlich hatte sie schon das ganze Dorf nach ihm abgeklappert. Danach – das weiß ich nicht.» Er zündete sich eine rosarote Zigarette an.
    «Wann haben Sie bemerkt, daß das Messer fehlte?»
    «Der Brieföffner, mein Lieber. Heute nachmittag. Nachdem Lady A auf ihre unnachahmliche Art Dick Scroggs Kneipe geleert hatte.»
    Jury beobachtete wie Trueblood zu dem Armband hinsah, wegblickte und sich dann darüberbeugte, um es sich genauer anzuschauen. «Woher haben Sie denn das? Gehörte es nicht der kleinen Judd?»
    «Sie erkennen es also?»
    «Ja, wertloser Plunder.» Er lehnte sich zurück und hielt sich mit gespieltem Entsetzen die Hand vor den Mund. «Wahrscheinlich habe ich gerade mein eigenes Todesurteil gesprochen. Und dann noch dieser Brieföffner in der Leiche des armen, alten Pfarrers, das bricht mir wohl das Genick?» Sein spöttischer Ton konnte jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß sein Gesicht aschgrau aussah.
    «Welches Motiv käme denn in Frage? Gibt es denn etwas in Ihrer Vergangenheit, Mr. Trueblood, worüber Sie lieber nicht reden möchten?»
    Truebloods Erstaunen war nicht gespielt. «Das soll wohl ein Witz sein, alter Junge?»

XVII Samstag, 27. Dezember

    In dem trüben Licht des frühen Morgens saßen Jury und Plant auf der Polizeistation von Long Piddleton. Jury starrte auf das Blatt Papier, das er von dem Schreibtisch des Pfarrers mitgebracht hatte und sagte: «Wenn es keine Notizen für eine Predigt sind, was ist es dann?»
    Melrose blickte Jury über die Schulter. « ‹God encompasseth us› . Das klingt wirklich nicht nach Pfarrer Smith. Zum erstenmal in meinem Leben muß ich

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