Inspektor Jury schläft außer Haus
weiß, bereits dem Superintendenten erzählt.»
«Das ist mir bewußt. Aber vielleicht gibt es doch noch ein paar Kleinigkeiten, die Sie vergessen oder übersehen haben.»
«Warum schießen Sie nicht gleich los?» Sie blickte zu der Tür, durch die Matchett verschwunden war, als suche sie nach moralischem Beistand. Über den Rand ihres kleinen Glases, das mit einer giftig aussehenden Flüssigkeit gefüllt war, warf sie Jury einen abschätzenden Blick zu. Sie hatte dunkle Augen, stark geschminkte, lavendelfarbene Lider und Wimpern, in deren Spitzen kleine Perlen von Wimperntusche hingen.
«Im Augenblick bin ich mit Mr. Matchett beschäftigt», sagte Jury.
Sie stellte ihr Glas ab und nahm ihre Nerzstola von dem Hocker. «Mit andern Worten, ich kann mich verabschieden.»
Matchett war zurückgekommen und sagte Wiggins, der Koch habe das Teewasser aufgesetzt.
«Na schön, ich gehe», sagte Isabel Rivington und glitt von ihrem Barhocker. «Bis später, Simon, Morde hin, Morde her», fügte sie mit eisiger Freundlichkeit hinzu.
Als sie gegangen war, bat Jury Matchett, das Fremdenbuch zu holen. Er entdeckte am 17. Dezember den mit ungelenker Hand geschriebenen Namen von William T. Small, Esq.
«Er kam nachmittags gegen drei hier an. Ich wollte gerade nach Sidbury fahren, um einen Laib Stilton zu holen, vorsichtshalber, da am Donnerstag die Geschäfte früh schließen.»
«Und er hat nicht gesagt, warum er hier haltgemacht hat?»
«Nein, nichts.»
Jury wiederholte die Namen der Gäste, die in Matchetts Lokal zu Abend gegessen hatten. «Fehlt noch einer?»
«Nein. Oder doch, Betty Ball tauchte auch einmal auf. Sie brachte gegen sechs oder sieben das Gebäck und den Kuchen vorbei. Sie hat hier im Dorf eine Bäckerei. Ich erwähne das, weil sie durch den Hintereingang gekommen ist und vielleicht die Kellertür gesehen hat. Natürlich war das sehr viel früher …»
«Ja. Ich werde mit ihr sprechen. Wiggins!» rief Jury. Der Wachtmeister, der zusammen mit Matchetts Hund vor dem Feuer saß, schien eingenickt zu sein. Wiggins fuhr hoch, und alle drei gingen nach hinten und dann einen kurzen Gang entlang, der zum Keller führte. Rechts und links befanden sich die Toiletten mit kleinen, schwarzen Schattenrissen auf den Türen, die diskreten Hinweise auf «Damen» und «Herren».
«Ist die Kellertür gewöhnlich abgeschlossen?»
«Nein. Wir müssen ja immer wieder runter; eine Hälfte davon ist der Weinkeller.»
«Dann kann also durch diese Tür jeder in den Keller gehen?»
«Ja, im Prinzip schon.» Matchett blickte ihn fragend an. «Aber wie ich der hiesigen Polizei schon sagte, ist die hintere Kellertür aufgebrochen worden.»
Jury erwiderte nichts darauf. Der Keller war ziemlich groß. Der linke Teil war mit Körben und Gerümpel vollgestellt; im rechten standen mehrere Reihen von Regalen, in denen die Flaschen mit den Hälsen schräg nach unten gelagert waren. In der Wand gegenüber der Treppe war die Tür, die nach draußen führte. Jury und Wiggins inspizierten sie. Es war eine kleine, sehr alte Tür mit verrosteten Scharnieren, und der Teil des Riegelschlosses, der am Türpfosten festgenagelt gewesen war, hing noch an einem alten Nagel. Jury öffnete sie, und er und Wiggins blickten auf schmale, mit halbverfaultem Herbstlaub bedeckte Zementstufen. Jurys Blick wanderte über den Zementfußboden des Kellers. Die Tür aufzubrechen mußte auch für jemanden, der über keine großen Körperkräfte verfügte, einfach gewesen sein. Aber warum alle zu glauben schienen, daß sie aufgebrochen worden war, fand Jury einfach unverständlich.
«Sehen Sie, Inspektor, die Tür war vorher noch in Ordnung gewesen, der Mörder muß also hier eingebrochen sein.»
Jury ging zu den Regalen hinüber. Zwischen den einzelnen Reihen standen große Holzfässer. «Das war das Faß, Inspektor», sagte Matchett. «Ich hab im letzten Jahr etwas herumexperimentiert, ich wollte mein eigenes Bier brauen. Aber ohne großen Erfolg. Hier fand Daphne die Leiche – sie baumelte da im Faß», meinte Matchett mit matter Stimme. «Hat ihn denn jemand verfolgt? Er war doch nicht vorbestraft, oder?»
«Die Ermittlungen sind noch nicht soweit gediehen. Wir sind gerade dabei, die Fakten zusammenzutragen.» Die wenigen Fakten, die es gab.
«Ja, natürlich.» Matchett legte den runden Holzdeckel auf das inzwischen geleerte Faß. «Möchten Sie hier unten noch etwas sehen, Inspektor?»
«Nein, ich denke nicht. Ich würde gern mit der Kellnerin
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