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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Kitty gesagt, wirkt manchmal Wunder.
     
    Sie standen alle drei auf einer breiten Stufe, hinter der die Engelsstiege in die Scroop Street zu ihrer Linken mündete. Jury schaute hinunter und dann wieder hoch. «Da kann einem schon die Puste ausgehen.»
    Wenn man zu der Kapelle hochblickte, befand sich links von der Engelsstiege eine ziemlich hohe Steinmauer, während rechts von ihr nur ein kleines Mäuerchen errichtet worden war, wohl damit man über die Dächer und Kamine aufs Meer sehen konnte. Malvenfarbene Rauchfahnen verschlangen sich ineinander; Silbermöwen hockten auf den Simsen und besprenkelten die Kieselsteine unter ihnen mit kleinen weißen Tupfern.
    Jury blickte auf die Grape Lane hinunter. «War das Tor geschlossen?»
    «Ja.»
    «Die Engelsstiege ist nachts also ziemlich unbelebt?»
    «Ja, richtig.»
    «Die Läden und Gasthöfe sind wohl auch noch anders erreichbar?»
    Harkins nickte. «Von der Scroop Street kann man die Dagger Alley nehmen, die an der ‹Glocke› vorbeiführt. Sie mündet in die High Street.»
    «Bei dem Bau der Stiege haben wohl vor allem religiöse oder ästhetische Kriterien den Ausschlag gegeben, nicht irgendwelche praktischen Erwägungen.» Jury betrachtete die Aufnahmen, die er mitgebracht hatte. Sein Blick wanderte von ihnen zu den leeren Stufen. Alles wieder hübsch sauber, dachte er voller Bedauern.
    Wiggins, dessen Lebensgeister durch Kittys Bier wieder etwas geweckt worden waren, ließ sich auf die Knie nieder und inspizierte die Stufen. «Getrocknetes Blut. Und was sind denn das für weiße Streifen?» Er fuhr mit dem Finger an der Mauer links von ihnen entlang. Die winzigen weißen Linien waren mit dem bloßen Auge kaum wahrzunehmen.
    «Ihr Kopf hat die Mauer berührt», sagte Harkins. «Es ist Schminke. Sie wollte auf ein Kostümfest.»
    «Erzählen Sie, Ian», sagte Jury.
    «Sir Titus Crael gibt jedes Jahr am Abend vor dem Dreikönigsfest einen Kostümball. Die Craels wohnen dort oben im Old House.»
    Wiggins richtete sich wieder auf und klappte das Taschenmesser zu, mit dem er auf dem Boden herumgekratzt hatte. «Sie kam aus London, nicht?» Harkins nickte. «Es ist doch wohl kaum anzunehmen, daß ihr jemand hierher gefolgt ist. Der Mörder muß sich in Rackmoor ausgekannt haben.»
    Jury war überrascht. Wiggins war zwar immer eifrig bei der Sache und machte auch fleißig seine Notizen, aber er zog ganz selten irgendwelche Schlüsse. «Ich meine wegen dieser Stiege. Es muß einer von hier gewesen sein, einer, der wußte, daß da kaum jemand hochkommen würde.»
    «Sie haben recht, Wiggins.» Jury blickte auf die Fotos und mischte sie wie Karten. «Gemma Temple …» Er schüttelte den Kopf.
    « Falls sie so hieß.» Harkins lächelte grimmig; es schien ihm ein Vergnügen zu bereiten, ihnen einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
     
    «Es ist eine Frage der Identität», sagte Harkins. Sie saßen wieder im «Fuchs». «Colonel Crael – Sir Titus, er hört aber ‹Colonel› lieber – hat zu Protokoll gegeben, diese Frau, die sich Gemma Temple nannte, sei wohl Dillys March gewesen. Dillys March ist vor fünfzehn Jahren, als sie achtzehn oder neunzehn war, von zu Hause weggelaufen. Und ist nie wieder aufgetaucht. Bis jetzt. Dillys March war Craels Mündel.»
    «Wieso ‹sei wohl gewesen›? War Crael sich denn nicht sicher?»
    «Colonel Crael denkt, daß sie diese March war. Aber sein Sohn, Julian, ist anderer Meinung. Man sollte annehmen, das Rätsel sei einfach zu lösen, aber dem ist nicht so. Wir haben ihre Mitbewohnerin aus London kommen lassen. Eine gewisse Josie Thwaite. Sie identifizierte die Leiche als Gemma Temple, wußte aber verdammt wenig über sie. Die Temple ist ungefähr vor einem Jahr bei ihr eingezogen.»
    «Und wo lebt diese Thwaite?»
    Übertrieben geduldig deutete Harkins auf den Umschlag. «In Kentish Town. Ist alles vermerkt.»
    «Fahren Sie fort.»
    «Sie erinnerte sich, daß Gemma Temple eine Familie erwähnt hatte, die Raineys in Lewisham. Wir haben uns bei ihnen nach handschriftlichen Dokumenten umgesehen, und wir fanden auch einiges von Gemma Temple, aber nichts von Dillys March. Keinen einzigen Fetzen Papier und keine einzige Unterschrift. Die Unterlagen beim Zahnarzt: dasselbe. Der Colonel sagt, Lady Margaret – seine verstorbene Frau – hätte sich um diese Dinge gekümmert. Konnte sich nicht erinnern, zu welchem Zahnarzt sie mit ihr gegangen ist. Zu irgendeinem in London.»
    «Dann klappern wir am besten mal alle ab. In London

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