Inspektor Jury spielt Domino
der Scroop Street.» Jury schüttelte den Kopf. «Das ist direkt neben der Engelsstiege. Seine Mutter ist jedenfalls vor ein paar Monaten nach Irland zurückgegangen. Ich schau ab und zu mal nach dem Rechten, aber ich versteh das nicht – einfach abzuhauen und das Kind seinem Schicksal zu überlassen! Hin und wieder hab ich einen kleinen Job für ihn. Ihre Großmutter sei krank, hat sie gesagt.» Kitty schüttelte den Kopf, füllte die Gläser bis zum Rand und schob Jury das eine über den Tresen.
«Cheers», sagte Jury und hob sein Glas. «Was ist an dem Abend passiert, als sie ermordet wurde, Kitty? Haben Sie Gemma Temple gesehen?»
«Ja, hab ich. Ich ging gegen zehn auf mein Zimmer, und sie war auf ihrem. Sie rief mich herein – ich sollte mir ihr Kostüm anschauen. Es war auch wirklich toll, der weiße Satin und der schwarze Samt. Und dazu die schwarzen Stiefel. Sie sagte, sie wolle sich noch das Gesicht schminken. Die eine Hälfte weiß, die andere schwarz. Und eine Maske aufsetzen …» Kitty stockte und wandte den Blick ab. «Sie soll schrecklich ausgesehen haben, als sie gefunden wurde.»
Jury äußerte sich nicht dazu. «Sie sagten, das war um zehn?»
Kitty nickte.
«Zehn oder kurz danach.»
«Und sie wollte sich nur noch schminken und dann gehen?»
«Das hat sie gesagt. Sie wollte gleich weg. Und das war auch das letzte, was ich von ihr gesehen habe. Die Ärmste, ich hab sie ja kaum gekannt, aber leid tut sie mir doch.»
«Ja, natürlich. Sie hat sich also auf den Weg zur Party gemacht, soweit Sie wissen?»
Wieder nickte Kitty.
«Anscheinend hat sie keiner von den Gästen weggehen sehen. Wie kommt das?»
«Na ja, das überrascht mich nicht. Sie waren ja alle stockbesoffen. Außerdem brauchte sie hier gar nicht durch. Sie konnte die Treppe runter und gleich aus der Tür gehen. Ich hab mich ja auch gefragt, was sie auf der Engelsstiege zu suchen hatte. Wissen Sie, am einfachsten kommt man nämlich zum Herrenhaus, wenn man Richtung Meer geht, die Fuchsstiege nimmt und dann an der Kaimauer entlanggeht. Wir haben sie die Fuchsstiege genannt, um die beiden Treppen auseinanderhalten zu können.» Jury nickte. «Von der Kaimauer führt ein Pfad die Klippen hoch bis zum Old House.»
«Das ist aber nicht der einzige Weg?»
«O nein, man kann auch die Engelsstiege bis zur Kapelle hochgehen, dann die Psalter Lane nehmen und anschließend durch den Wald gehen. Aber wer will das schon? Ist dunkel und unheimlich.»
«Hat sie sich denn in den paar Tagen, die sie hier war, mit jemandem angefreundet?»
Kitty schüttelte den Kopf. «Nein, mit keinem, nur mit Maud Brixenham hat sie ein paarmal gesprochen. Maud kommt jeden Mittag hier vorbei. Sie wohnt in der Lead Street. Auf der anderen Seite der Mole. Und Adrian, mit dem –» Sie zögerte.
«Adrian?»
«Adrian Rees. Ich glaube, mit dem hat sie auch mal geredet.»
«Warum wollten Sie das unter den Tisch fallen lassen?»
«Oh …» Sie beugte sich über den Tresen und ließ Jury noch etwas tiefer in ihren Ausschnitt blicken. «Ich möchte nicht, daß Adrian Ärger kriegt. Aber er war hier an dem Abend, an dem sie ermordet wurde, und er sprach über irgendwelche Mordgeschichten. Über eine Romanfigur. Schlimm ist nur, daß Adrian sie als letzter lebend gesehen hat. Dieser Mr. Harkins hat ihn ganz schön in die Mangel genommen.»
«Und was halten Sie von der Sache?»
Kitty winkte ab. «Bah, Adrian könnte keinen Mord begehen. Angeben, rumkrakeelen, das ja, aber –» Sie schüttelte den Kopf und trank ihr Bier.
«Und die Craels? Die Frau war anscheinend befreundet oder verwandt mit ihnen.»
«Davon weiß ich nichts, ich weiß nur, daß sie zum Old House hochgegangen ist. Diese Kneipe hier gehört dem Colonel zur Hälfte. Als er sie kaufte, hieß sie ‹Zum Kabeljau›. Ich arbeitete hinter dem Tresen. Der Colonel ist ein richtiger Gentleman und sehr beliebt hier in Rackmoor.»
«Was hat Gemma Temple über die Craels gesagt?»
«Nichts. Wir haben uns nicht weiter unterhalten. Aber dieser Julian, der Sohn, der ist schon ein ziemlich komischer Vogel.»
«Komisch? Warum?»
«Immer für sich. Kommt kaum ins Dorf runter. Vierzig und nicht verheiratet.»
Sie sagte das, als wäre es der Gipfel aller möglichen menschlichen Verirrungen.
«Ich bin auch vierzig und noch nicht verheiratet, Kitty.»
Sie starrte ihn an. «Kaum zu glauben. Ist wohl nicht nach Ihrem Geschmack?»
«Oh, es ist schon nach meinem Geschmack. Das Mündel der Craels, diese Dillys
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