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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Fylingdales Moor, aus dem in der Ferne die Kuppeln des Frühwarnsystems der amerikanischen Marine völlig deplaziert aufragten. Vom Straßenrand her drängte sich ein Dutzend Moorjocks – die schwarzgesichtigen Schafe der Moore – an das Auto heran: dicke Wülste aus lockiger, vereister Wolle auf schwarzen, dünnen Beinen. Sie hatten lange, schwarze und (wie Jury dachte) sehr melancholische Gesichter. Als das Auto vorbeifuhr, kurbelte Jury das Fenster herunter; das letzte Schaf war stehengeblieben, um sich an einem alten Steinkreuz zu reiben. Neugierig schaute es dem Auto nach.
    Jury dachte an die Leiche der jungen Frau auf der Metallplatte im Leichenschauhaus von Pitlochary, und er wäre am liebsten in die grenzenlose Gleichgültigkeit der Natur geflüchtet.
    «Großer Gott, dieses Fenster, Sir, können Sie es bitte wieder schließen», fing Wiggins hinter dem Steuer an zu lamentieren.
    Jury drehte das Fenster hoch, machte es sich auf seinem Sitz bequem, starrte auf die trostlose, gottverlassene Landschaft mit den unberührten Schneeflächen und gab einen tiefen Seufzer von sich.
     
    In den Spalten der Klippen hing Rackmoor, die Nordsee zu Füßen, die Moore im Rücken. Ein sehr verschwiegener Ort, dem etwas beinahe Schuldbewußtes anhaftete.
    Das Auto mußten sie auf einem Parkplatz abstellen, der listig am höchsten Punkt des Ortes angelegt worden war. Ein paar Meter unter ihnen, auf Rackmoors abschüssiger High Street, war ein Laster stehengeblieben; die Fahrerkabine hing in einer Haarnadelkurve, während der Anhänger die enge Straße blockierte.
    Jury blickte auf das Meer und die roten Ziegeldächer hinunter, die in mehreren Reihen an den Klippen klebten. Am grauen Horizont tauchte ein Schiff auf und schien in dem nebligen Morgen steckenzubleiben. Über dem Dorf vermischte sich der Nebel mit den Rauchfahnen. Abgesehen von dem stumpfen Rotbraun der Dächer war alles grau in grau. Wie im Moor hatte Jury das Gefühl, sich aus der Zeit herauskatapultiert zu haben und nun ziellos herumzuirren.
    «Sieht so aus, als müßten wir zu Fuß gehen», sagte Wiggins und sog unglücklich die Seeluft durch die Nase. Es muß doch ein besseres Klima geben, schien sie ihm zu sagen.
    Als sie an der «Glocke», dem Gasthof zu ihrer Linken, vorbeikamen, hörten sie das Gebrüll des Fahrers; er lehnte aus der Fahrerkabine und schrie die Dorfbewohner an, die sich um ihn versammelt hatten. Jury fragte sich, welches blinde Vertrauen in die Gesetze der Schwerkraft den Laster überhaupt in diese Situation gebracht hatte. Sie drängten sich an der Fahrerkabine und an einem Fischhändler vorbei – er war in seiner weißen Schürze auf die Straße getreten und beinahe gegen den Anhänger geprallt –, bogen um die Haarnadelkurve und gingen dann nach rechts. Einen Häuserblock lang verlief die Straße gerade; sie entdeckten verschiedene Geschäfte: einen Kiosk mit einem drehbaren Postkartenständer, der um diese Jahreszeit kaum Käufer finden würde; einen Gemüseladen, aus dem eine Frau mit Haaren wie Stahlwolle Steckrüben heraustrug und Jury und Wiggins gleich geschäftstüchtig ins Auge faßte; auf der rechten Seite die Galerie Rackmoors, in deren Fenster eine graugestreifte Katze schlief, und daneben ein kleines Textilgeschäft mit Kleidern so grau und schlicht wie das Kopfsteinpflaster unter ihren Füßen.
    Ein zweiter, nach Jurys Meinung unentbehrlicher Parkplatz war auf einem Plateau rechts von ihnen eingerichtet worden. Nach dem nächsten Knick ging es wieder steil nach unten. Am Ende der Straße erspähte Jury das Meer, das wie ein Trompel’œil-Bild am Ende eines Tunnels auftauchte. Links und rechts davon gingen winzige Plätze und schmale Gäßchen ab. Bridge Walk war eines davon; es bestand nur aus ein paar Stufen, neben denen das Wasser vorbeischoß. Die Stiegen waren gleichzeitig die Treppen zu den Häusern, und die Dächer waren so gestaffelt, daß man von der einen Reihe auf die nächste blickte.
    Am Ende der High Street lag eine kleine Bucht; an diesem Morgen brachen sich die Wellen schon sehr weit draußen, und obwohl die Sonne noch nicht durchgekommen war, warf das Wasser sein eigenes, gleißendes Licht auf die Felsen und Tümpel. Kleine Boote – Ruderboote und Fischerboote – waren auf dem schmalen Streifen Kiesstrand aufgebockt, in leuchtenden Farben gestrichen: Saphirblau, Aquamarin. Wellenbrecher bildeten einen Teil der Kaimauer.
    Das Schild des «Alten Fuchs» hing an einer eisernen Stange, die vom Wind hin und

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