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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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war schockiert. « Lily? Um Himmels willen, nein. Warum fragen Sie?»
    Jury gab keine Antwort. Er stand auf und nickte Wiggins zu, der sich daraufhin von der Leinwand losriß. «Ach, noch was, Mr. Rees, vermissen Sie nicht ein Stück Leinwand?»
    «Leinwand. Ahh …» Sein Blick wanderte in eine Ecke, in der Farbtöpfe, Keilrahmen und Leinwände herumstanden. «Ich hab nicht nachgeschaut. Warum?»
    «Schließen Sie gewöhnlich Ihren Laden ab, wenn Sie weggehen?»
    «Du lieber Himmel, nein. Die Vorstellung, jemand könnte meine Bilder klauen, ist etwas …» Er zuckte die Achseln.
    «Vielen Dank, Mr. Rees. Und auf Wiedersehen.»
    «Bestimmt werden Sie mich wiedersehen wollen.» Adrian wischte sich die Hände an dem Lappen ab und führte sie die Treppe hinunter.
    Als sie durch die Galerie gingen, blieb Wiggins noch einmal vor dem Akt – oder den Akten – stehen.
    «Gefällt Ihnen wohl?» fragte Rees. «Ich nenne es die Zielscheibe.»
    «Interessant», sagte Wiggins. «Man könnte meinen, hier in der Mitte seien lauter kleine Löcher. Hat es damit zu tun, daß die Männer die Frauen als Zielscheiben oder Lustobjekte betrachten? Was in der Art?» Er schneuzte sich sorgfältig, zuerst das eine, dann das andere Nasenloch.
    Wiggins als Kunstkritiker war für Jury ein neues Phänomen.
    «Nicht schlecht, haut aber nicht ganz hin. Eigentlich war’s so, daß ich eines Nachts nicht wußte, was ich tun sollte, und die Leinwand über Kork spannte und eine Zielscheibe darauf malte. Hier –» Sie beugten sich darüber: «Hier können Sie noch die Ringe unter dem flockigen Weiß sehen. Nur die Löcher konnte ich nicht übermalen. Der Effekt ist aber ganz hübsch. Die Akte sehen wie von Kugeln durchsiebt aus.»
    «Als hätten sie die Pocken oder so was.»
    «Hmm. Der Vergleich gefällt mir. Prima Idee. Ich werd’s Pax Britannica nennen und den Preis um fünfzig Pfund erhöhen.»
    «An Ihrer Stelle würde ich in dieses Gesicht noch ein paar Pfeile reinhauen. Dann sieht es noch mehr nach Pocken aus.» Wiggins lächelte und bot Adrian ein Hustenbonbon an.

5
    Sir Titus Crael, Baron, lebte in einem prächtigen elisabethanischen Herrenhaus, von dem aus man auf die gigantischen, zerklüfteten Klippen der Nordseeküste blickte. Es schien aus demselben Kalkstein wie die Stadtmauern Yorks gebaut zu sein; der Regen hatte ihn nur schon so ausgewaschen, daß er ganz weiß wirkte. Das Gebäude tauchte aus dem dicken Bodennebel auf – eine massige Silhouette hinter vorbeidriftenden Nebelfetzen.
    Wiggins fuhr mit dem polizeieigenen Ford die geschotterte Einfahrt hinauf und an den Stallungen vorbei, wo sich ein stattliches Pferd überrascht aufbäumte. Der Reiter, ein hochgewachsener, hagerer und sehr distinguiert aussehender älterer Mann, schien es jedoch vollkommen in der Kontrolle zu haben. Er stieg ab und ging zu dem Auto hinüber.
    «Sie sind die Herren von Scotland Yard? Ich bin Titus Crael.» Er streckte eine kräftige, knochige Hand aus.
    Jury und Wiggins stiegen aus dem Wagen.
    «Um das Auto brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Lassen Sie es einfach hier stehen. Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie bei den Ställen abfange, ist nicht gerade sehr förmlich, eine Eigenschaft, die mir leider abgeht. Ich wollte Sie eigentlich nur kurz sprechen, bevor Sie hineingehen. Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir uns hier unterhalten? Bracewood wird sich taub stellen.»
    Jury schaute sich nach Bracewood um und entdeckte, daß der Colonel von seinem Pferd sprach. Colonel Crael hatte die Hände in den Lederhandschuhen durch die Zügel geschoben und lehnte sich an das Pferd, wie andere sich an ihre Freunde anlehnen – physischen oder moralischen Halt suchend. «Nichts dagegen, Inspektor? Sergeant?»
    Jury dachte, der Colonel wolle ihre Fragen hier draußen beantworten, und befürchtete, daß Wiggins seine Leichenbittermiene aufsetzen würde, obwohl es eher feucht als kalt war. Er sagte: «Nein, eigentlich nicht. Ich werde Sergeant Wiggins schon mal vorausschicken, damit er sich mit den Hausangestellten unterhalten kann.»
    «Ja, tun Sie das. Hier durch diese Tür. Wood – mein Butler – wird Ihnen weiterhelfen.» Er wies auf das eindrucksvolle Portal des herrschaftlichen Hauses, als wäre es der Eingang zu einer Lehmhütte. «Lassen Sie sich etwas Tee geben, Sie sehen ganz durchgefroren aus.»
    Worauf Wiggins sehr dankbar dreinblickte. Er ging auf das Haus zu.
    «Um ganz ehrlich zu sein, Inspektor Jury – ich wollte erst mal ein paar Worte mit

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