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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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die ganze Zeit über herumgekaut hatte. «Sie hätte jedem die Show gestohlen. Zuerst dachte ich, ich hätte vielleicht einen zuviel getrunken. Aber das tu ich ja immer. An dem Abend hatte ich nur nicht genügend Kleingeld bei mir.» Er schnappte sich einen Eimer mit leuchtendblauer Farbe und goß sie langsam über die Leinwand. Dann rannte er auf die andere Seite und leitete den dünnflüssigen blauen Strom mit einem dicken Pinsel um, so daß er über die rote Farbe lief, Schleifen bildete und wieder zurückfloß. «Ich sah sie nur über die Straße hinweg. Und es war neblig. Wie immer.»
    «Wollen Sie damit sagen, daß Sie sie nicht richtig gesehen haben?»
    «Nein, das nicht. Ich hab sie mir ganz genau angeschaut. Ich werd das auch nie vergessen.» Er richtete sich wieder auf. «Kommen Sie.» Jury folgte ihm auf die andere Seite des Raums, wo Adrian ein Tuch von einer kleinen Leinwand zog. Die Figur war zwar noch nicht ganz fertiggemalt, aber der Hintergrund wirkte um so atmosphärischer: Dunkel, Nebel, der Schein der Straßenlaterne und die undeutlichen Umrisse einer in einen Umhang gehüllten Figur.
    «Soll das Gemma Temple sein?» Adrian nickte. «Können Sie das nicht fertigmalen, vielleicht hilft es uns weiter.»
    Adrian bedeckte es wieder. «Ich hatte vergessen, daß es die Nacht vor dem Dreikönigsfest war. Ich geh nie auf solche Bälle, ich finde sie schrecklich. Aber sagen Sie das bitte nicht dem Colonel. Er ist ein Förderer der schönen Künste und beschafft mir immer ein zinsloses Darlehen. Ab und zu gibt er auch was in Auftrag.» Sie standen wieder neben der großen Leinwand, und Adrian brachte einen Eimer mit grüner Farbe in die richtige Position. Zu Wiggins, der fasziniert jede seiner Bewegungen verfolgte, sagte er: «Sergeant, können Sie mir mal zur Hand gehen? Wenn das Grün auf Ihre Seite läuft, kippen Sie es bitte wieder zurück.»
    Wiggins schien sich geschmeichelt zu fühlen. «Oh, wenn Inspektor Jury –»
    Jury nahm ihm das Notizbuch ab, Wiggins krempelte die Ärmel hoch und ging in die Hocke. Kopfschüttelnd holte Jury seinen Federhalter aus der Tasche. «Fahren Sie fort, Mr. Rees.»
    «Ich glaube nicht, daß sie mich gesehen hat. Sie blieb einen Augenblick lang unter der Straßenlaterne in der Nähe der Treppe stehen.» Er stand auf und warf sich einen imaginären Umhang über die Schultern. «Schwarzes Cape, weißes Hemd.» Er bedeckte eine Gesichtshälfte. «Die linke Hälfte war weiß, die rechte schwarz. Außerdem trug sie noch eine schwarze Maske –»
    «Woher wußten Sie denn, daß es Gemma Temple war?»
    «Wußte ich natürlich nicht. Das hab ich erst erfahren, als ich ein paar Stunden später mit den andern Schaulustigen herumstand. Ich hatte die Polizeisirenen gehört. Polizeisirenen in Rackmoor ? Ich konnte es nicht glauben. Zuerst dachte ich, es sei vielleicht ein Krankenwagen. Obwohl ich nun schon gut fünf Jahre hier wohne, hab ich noch nie einen gesehen. Die Leute hier sterben nicht, Percy Blythe ist der Beweis. Ich schaute aus dem Fenster und sah den Auflauf. Daraufhin zog ich mir die Hose an und ging auch auf die Straße.»
    «Haben Sie die Leiche gesehen?»
    «Nein. Wie denn auch? Auf der Engelsstiege wimmelte es nur so von Polizisten. Ich hab aber gehört, daß es einer von den Ballgästen sei, eine Frau in einem schwarzweißen Kostüm.»
    «Und was haben Sie dann getan?»
    «Ich bin wieder nach Hause gegangen. War aber zu aufgeregt, um schlafen zu können, und hab dieses Bild in Angriff genommen.»
    «Sie haben doch auch mit ihr gesprochen? Ein- oder zweimal in dem Gasthof?»
    Adrian blickte ihn aufmerksam an und zog an seiner Zigarre. «Ja, ein- oder zweimal. Sie sprach aber nicht über sich; sie sagte nur, daß sie aus London sei – Kentish Town, soviel ich mich erinnere – und daß sie die Craels schon lange kenne.»
    «Sind Sie auch gut bekannt mit ihnen?»
    «Ja. Zumindest mit dem Colonel. Mit Julian ist wohl keiner gut bekannt.» Adrian tauchte den Pinsel in Ocker und verschmierte die Farbe zum Rand hin.
    «Hat sie gesagt, wieso sie hierhergekommen ist?»
    Adrian schüttelte den Kopf. «Verdammt merkwürdig, das Ganze. Wer fährt schon im Januar nach Rackmoor? Ich glaube, sie sagte, sie sei Schauspielerin oder so was Ähnliches.»
    Jury dachte einen Augenblick nach. «Kennen Sie Lily Siddons?»
    Er blickte erstaunt auf. «Ja, natürlich. Ihr gehört das Café ‹Zur Brücke›.»
    «Könnte denn jemand Interesse daran haben, sie aus dem Weg zu räumen?»
    Er

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