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Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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war?»
    Jury lächelte. «Wird nicht lange dauern, Mr. Rees.»
    «Oh, das kenn ich. Zu Thomas More hat man das wahrscheinlich auch gesagt, als er aufs Schafott stieg.»
    «Worauf er antwortete: ‹Helft mir rauf. Runter brauch ich keine Hilfe mehr.›»
    Adrian war verblüfft, jedoch weniger über den Ausspruch Mores als über Jurys Belesenheit. «Hat er das tatsächlich gesagt?»
    «Soviel ich weiß. Ich war natürlich nicht dabei.»
    Adrian schüttelte den Kopf. «Weiß der Himmel, damals besaßen die Leute noch Haltung. Warum fangen wir nur gleich zu winseln an, wenn wir den Tod zu Gesicht bekommen? Warum sind wir so erbärmlich?»
    «Raskolnikows Philosophie?»
    «Heiliger Strohsack!» Adrian griff sich ins Haar und ballte die Hände zu Fäusten. «Das wird mich noch bis ans Ende meiner Tage – aber lassen wir das.»
    Jurys Blick wanderte über die Bilder an den Wänden des langen, schlauchartigen Raums, in dem sie sich aufhielten. «Gute Sachen. Aber dort hinten, diese Postkartenmalerei von der Klosterkirche, die stammt bestimmt nicht von Ihnen?»
    Adrian sah sich um.
    «Allerdings nicht. Ich muß dieses Zeug in Kommission nehmen, damit die Kasse stimmt. Einheimische Künstler, Lokalkolorit, Folklorescheiße, so was verkauft sich im Sommer.»
    «Kann ich mir denken. Was halten Sie denn von dem da, Wiggins?»
    Sergeant Wiggins schlenderte zu einem Ölbild mit einem zerlegten Akt. Er räusperte sich. «Interessant.»
    «Hören Sie, können wir nicht nach oben in mein Atelier gehen und dort weiterreden? Ich will nicht den großen Künstler markieren, aber wenn die Farbe trocken ist, läßt sich nichts mehr machen. Sie haben doch nichts dagegen?»
    «Nein, natürlich nicht.» Jury zog Wiggins am Ärmel. Der Sergeant hatte den Kopf verdreht, um den Akt – oder die Akte, es schienen mehrere zu sein – besser sehen zu können. Die einzelnen Körperteile bildeten eine kubistische Collage; sie verflochten sich zugleich auf eine Weise, der Jury im Augenblick nicht weiter nachgehen wollte.
    Jury und Wiggins stiegen hinter Adrian Rees die enge, steile Treppe hinauf und kamen in einen sehr großen Raum, erfüllt von grauem Licht, das durch ein Oberlicht hereinfiel. «Deswegen hab ich dieses Haus auch gekauft», sagte Adrian. «Alle andern Häuser, die ich mir anschaute, waren dunkel wie Grüften. Weil das ganze Dorf in die Klippen hineingebaut ist. Die oberen Hauser nehmen den unteren das Licht weg. In manchen muß den ganzen Tag über elektrisches Licht brennen.»
    Abgesehen von den Leinwänden, von denen gleich mehrere übereinander gegen die Wände gelehnt waren, befand sich nichts in dem Raum: Landschaften, Stilleben, abstrakte Bilder, die so aussahen, als hätte der Maler die Finger in einen Farbtopf gesteckt und die Farbe auf das Bild gespritzt. Und Porträts. Rees hatte offensichtlich Talent. Der Beweis war das traditionelle Porträt einer Frau in einem langen, grünen Gewand. «Sehr hübsch», sagte Jury.
    «Was für übers Sofa. Langweilig.» Adrian beugte sich über eine riesige Leinwand. Sie war auf dem Boden ausgebreitet und auf der einen Seite etwas in die Höhe gezogen; auf der andern war eine lange Rinne angebracht, die die Farbe auffing; sie sah aus wie ein der Länge nach aufgeschnittenes Aluminiumrohr. Er nahm einen kleinen Eimer in die Hand und kippte ihn darüber. Wie ein Schwall Blut ergoß sich die rote Farbe über die Leinwand, verästelte sich nach links und sammelte sich dann in dem Behälter. Wiggins war fasziniert.
    «Sie gießen einfach die Farben drüber und lassen sie ineinanderfließen? Und damit hat’s sich dann?»
    «Ja, damit hat’s sich, Sergeant.»
    Wiggins zog sein Taschentuch heraus und blickte Jury mit wäßrigen Augen an. «Könnte ich nicht auch allergisch gegen Farben sein, was meinen Sie, Sir?»
    Jury wollte nicht Wiggins’ Hausarzt spielen. Er setzte sich auf einen von oben bis unten mit Farbe bespritzten Hocker. «Sie haben Gemma Temple noch gesehen, kurz bevor sie ermordet wurde, Mr. Rees?»
    Adrian, der damit beschäftigt war, eines der roten Rinnsale nach links zu leiten, nickte und sagte: «Ich ging die Grape Lane hoch. Vom ‹Fuchs› aus.»
    «Auf welcher Höhe? In der Nähe der Engelsstiege?»
    Er nickte. «Kurz danach. Ich war schon ein paar Meter weiter. Sie kam mir von oben entgegen.» Adrian richtete sich auf und versuchte mit einem Streichholz, das er durch einen Schnipser mit dem Fingernagel zum Brennen gebracht hatte, seine Zigarre anzuzünden, auf der er schon

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