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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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ihren botanischen Garten.
    Er wartete einen Augenblick, um zu sehen, ob ihr noch etwas einfiel. Doch sie schien sich trinkend in den Schlaf zu schaukeln. Ihr Kopf nickte wie eine Blume auf dem Stengel. Er stand auf und sagte: «Ich werde jetzt wohl besser gehen, Mrs. Broome. Wenn Sie sich noch an was erinnern sollten, was es auch ist, melden Sie sich bitte.»
    Ihr Kopf fuhr in die Höhe, und sie schüttelte sich. «Ja.» Sie stand mit großer Mühe auf und hielt sich an der Sofalehne fest. «Aber diesen Commander oder wie er auch heißt, den ruf ich nicht an.» Auf dem Weg zur Tür riß sie die Trockenblumen vom Tisch und wischte mit den Fingern darüber, um sie abzustauben. «Wo kann ich Sie erreichen?»
    Jury reichte ihr seine Karte. «New Scotland Yard. Rufen Sie einfach diese Nummer an, Mrs. Broome.»
    Sie schien ihn jetzt mit dem gleichen Widerwillen gehen zu lassen, mit dem sie ihn empfangen hatte. Immer wieder starrte sie auf seine Karte, als wäre sie möglicherweise ein Glücksbringer.
    Er ließ sie nicht gerne allein, aber er konnte schließlich nicht den ganzen Tag hierbleiben. Und dann gäbe es ja auch immer noch einen nächsten Tag, dem man ins Auge blicken mußte. Jury sah sich im Zimmer um, sah die getrockneten Sträuße, die ummauerten Gärten. Bruchstücke aus einem Gedicht fielen ihm ein … Schweig still, die hängenden Gärten sind ein Traum … weht über persischen Rosen, weht und küßt … Auf was hätte «küßt» sich gereimt? Er konnte sich nicht erinnern, aus welchem Gedicht die Zeilen stammten oder wem dieser Kuß galt. Einer Königin, dachte er. Die Sheila Broome gerne gewesen wäre, vielleicht.
    «Ihre Tapete gefällt mir. Sie ist sehr … hübsch», fügte er lahm hinzu, weil ihm einfach kein besseres Wort einfiel. «Auf Wiedersehen, Mrs. Broome. Und vergessen Sie nicht anzurufen. Sie haben mir sehr geholfen.»
    Auf dem Bürgersteig blickte er zurück. Immer noch stand sie da und umklammerte ihren unechten Strauß. Ob die junge Stella damals ihren Brautstrauß wohl so umklammert hatte? Wahrscheinlich hatte sie das Glück eines solchen Tages vergessen. Und Sheila würde dieses Glück nie mehr erleben.
     
     
     
    S ERGEANT W IGGINS SASS IN Macalvies Büro und trank eine Tasse Tee, als Jury hereinkam.
    «Wo ist er?» Jury wies mit einem Kopfnicken auf den Schreibtisch, der groß wie ein See war und auf dem Stöße von Papier, Schreibzeug und Akten schwammen.
    «Im gerichtsmedizinischen Labor», sagte Wiggins. «Um sich mit einer Person namens Thwaite zu unterhalten.» Er schniefte und zerrte ein Bettlaken von einem Taschentuch hervor. «Bin nur froh, daß ich nicht Thwaite heiße.»
    «Da sind wir schon zu zweit.» Jury lächelte und nickte in Richtung Tür. «Kommen Sie, sehen wir mal nach ihm.»
     
    Ein uniformierter Polizist führte sie zum Labor, das am Ende eines Korridorlabyrinths lag.
    Sobald sie durch die Schwingtüren des letzten Korridors getreten waren, wurde die Führung überflüssig. Jury folgte einfach einer Stimme, die sich beim Näherkommen allmählich in eine wüste Schimpfkanonade hineinsteigerte.
    Thwaite war gar kein er , erkannte Jury, als er durch das verglaste Viereck in der Tür blickte. Die Frau reichte Macalvie kaum bis zu den Schultern, aber offensichtlich zielte sie nach seiner Schläfengegend, so wie sie ihm das Mikroskop hinhielt.
    Obwohl er nicht besonders groß war, gelang es Macalvie, fünfzehn Zentimeter an Höhe und Umfang zuzulegen, als er sich wie ein Felsblock vor dem Objekt seiner Mißbilligung – vermutlich Sergeant Thwaite – aufbaute. Bei der Spannung, die im Zimmer herrschte, wäre die Tür beim Anklopfen wahrscheinlich aus den Angeln gesprungen, also machte Jury sie einfach auf und hörte, wie sich der Divisional Commander über irgendeinen Ex ausließ.
    Oder vielmehr Exe, wie Jury jetzt begriff.
    «… sich hier hinstellen und es mir den ganzen Tag wiederholen, Gilly. Wir haben ihn aus dem Exe gezogen, aber er lag nicht in dem Scheiß-Exe, als er starb …» Macalvie drehte sich ein wenig zur Seite, entdeckte Jury, nickte ihm gleichgültig zu und setzte den Streit wieder fort.
    «Könnte ich das wohl jetzt wieder zurückhaben», sagte Gilly Thwaite und griff nach dem Mikroskop, das Macalvie ihr entrissen hatte. «Glauben Sie, der steht noch mal auf und salutiert?»
    «Sie gehören nicht zur Spurensicherung, Gilly.»
    «Sie ebensowenig», schnauzte sie.
    Jury verlieh Thwaite einen goldenen Orden für ihre Courage. Sie hatte braune

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