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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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und Essiggurken.»
    Er dankte ihr und nahm das Paket. «Passen Sie bitte ein bißchen auf Carole-anne auf. Vielleicht könnten Sie sie ja mal zum Tee einladen. Vielleicht könnten Sie sie auch zu Ihrem Bingo-Abend mitnehmen. Sie läßt sich’s ja nicht anmerken, aber ich glaube, sie fühlt sich manchmal einsam.»
    «So ein süßes Kind, Mr. Jury.» Sie stiegen die drei Stufen zu ebener Erde hinauf. «Ist es nicht schön, daß sie jetzt diese neue Stelle hat.»
    Jury war mißtrauisch. Er glaubte nicht, daß Carole-anne Mrs. Wasserman schon vom Starrdust erzählt haben konnte. Und sie würde doch weiß Gott nie über den Job reden, den sie im Q. T. Club annehmen wollte. «Eine neue Stelle?»
    «Sie wissen doch, in dem Tag-und-Nacht-Waschsalon. Carole-anne sagt, sie muß Spätschicht arbeiten und kommt erst in den frühen Morgenstunden nach Haus. Ich hab ihr schon gesagt, sie soll aufpassen und ein Taxi nehmen.»
    «Der Waschsalon. Ja, das hatte ich ganz vergessen.»
    «Ist ja soviel besser als ihre alte Arbeit.»
    Die alte Arbeit war Oben-ohne-Tanzen im King Arthur gewesen. «Ja, viel besser.»
    «In der Bibliothek.»
    Jury betrachtete eingehend den Boden zu seinen Füßen und blickte erst wieder auf, als die Haustür aufsprang und die Bibliothekarin in ihren hautengen Jeans und der unechten Pelzjacke heraustrat. «So verrückt sie auch nach Büchern ist, wurde wohl einfach zu schlecht bezahlt.»
    «Ah ja, es ist verdammt schwer, heutzutage Arbeit zu finden. Und im Waschsalon kann sie auch noch gratis ihre Sachen waschen.»
    «Hi, Mrs. W.!» rief Carole-anne fröhlich.
    «Hallo, meine Gute», sagte Mrs. Wasserman. «Wie hübsch Sie wieder aussehen!»
    «Danke, Mrs. W. Bin unterwegs zu einem Vorstellungstermin.» Sie blickte überallhin, bloß nicht in Jurys Richtung: straßauf, straßab, zum Himmel hinauf, um zu sehen, ob es schneite, regnete oder die Sonne schien – alles interessierte sie, nur nicht Jurys Gesichtsausdruck.
    «Hallo, meine Gute», sagte Jury in einem gespielt – freundlichen Ton, den er selten an sich hatte. «Wenn Sie mit dem Turban und den Sternen fertig sind, können Sie gerne meine Wäsche waschen.»
    Carole-anne sah ihn schief und frech an, als sei ihr dieser ungewaschene Fremde an der Türschwelle nicht ganz geheuer. Ihre weiße Stirn runzelte sich; die Tropfenohrringe zitterten. «Hä? Ich muß los. Bis dann.» Sie hauchte ein Küßchen in die Luft und schwang sich die Tasche über die Schulter.
    Sie sahen, wie sie die Straße hinunterging. Erst wandte sich einer, dann noch einer der ihr entgegenkommenden männlichen Anwohner um. Auf der anderen Straßenseite verriegelte ein kleiner Mann mit Melone sein Gartentor, machte einen Quickstepschritt und schloß sich den beiden anderen an. Auch der Postbote ging gleich munterer an die Arbeit und stopfte die Briefe kreuz und quer durch die Türschlitze entlang Carole-annes Route.
    «Tja, Mrs. Wasserman, jetzt sehen Sie sich bloß mal unsere Nachbarschaft an», sagte Jury mit einem Lächeln.
     

F ÜNFTER T EIL
    D ER O LD P ENNY P ALACE
     

22
    «B RIGHTON IST FÜR SEINE wunderbar klare Luft bekannt», sagte Jury und blickte über das bleifarbene Wasser zum Horizont, der sich im Nebel verlor.
    Mit zusammengekniffenen, wegen der Gischt fast geschlossenen Augen warf Wiggins seinen langen Schal noch einmal um den Hals und blickte drein, als hätte er nicht das geringste dafür übrig.
    Jury schnippte seine Zigarette weg und atmete tief durch.
    «Es ist nicht gesund, Sir.»
    «Das Atmen?»
    «Die Seeluft», sagte Wiggins und fügte belehrend hinzu: «Egal was die Leute meinen, jeder Arzt wird Ihnen sagen, daß sie nicht gesund ist.» Dann zog er seine Fisherman’s Friends heraus, einen Standardartikel seiner tragbaren Apotheke seit jenen feuchtkalten Tagen in Dorset. Er hielt Jury die Tüte hin. «Die helfen, wenn man einen schlimmen Hals hat.»
    «Hab ich aber nicht, Wiggins.»
    «Kriegen Sie aber», sagte der Sergeant fast fröhlich. Er schob Jury eine Pastille in die Hand.
    Wiggins hätte auch eine Schockbehandlung in Kauf genommen, dachte sich Jury, um einer Erkältung vorzubeugen. Die Floskel «Der Sieg des Geistes über die Materie» kam in Wiggins’ Wortschatz nicht vor. «Da drüben ist Paul Swann, das heißt, ich nehme es zumindest an.» Jury deutete über das Geländer zum Kiesstrand hinunter. «Da unten beim Palace Pier.»
    Die Putzfrau hatte Jury erzählt, daß Mr. Swann nicht zu Hause sei; er sei zum Strand hinuntergegangen, zum Palace

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