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Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Sie wohl ironisch, Jury?»
    «Sir?»
    «Hören Sie auf mit Ihrem Sir, junger Mann. Als Sie noch Inspektor waren, haben Sie mich auch nie mit Sir angeredet, warum dann zum Teufel jetzt? Ich habe keine Zeit für Ihren abartigen, und wenn ich das noch hinzufügen darf, unprofessionellen Sinn für Humor.» Papiere raschelten. «Littlebourne. Haben Sie verstanden? So heißt das Kaff, in das Sie sich begeben. Ist ungefähr fünf Kilometer von Hertfield entfernt, wo Leute mit dem nötigen Kleingeld ihre Antiquitäten kaufen. Von Islington fährt jede halbe Stunde ein Zug –»
    Jury unterbrach ihn. «Ich bin nicht an der Reihe. Es gibt einen Dienstplan, wissen Sie das?»
    Der Draht schien in seinem Ohr zu knistern, als Racer zischte: «Dienstplan. Natürlich weiß ich, daß es einen Dienstplan gibt. Das Ei will mal wieder klüger sein als die Henne. Perkins liegt im Krankenhaus, und Jenkins hütet mit irgendeiner von den Schlitzaugen eingeschleppten Grippe das Bett. Der Polizei von Hertfield fehlt es an Leuten, und es sieht so aus, als ob dieser Mord, der ihnen da beschert wurde, besonders unangenehm wäre. Die Sache ist – sie können die Leiche nicht finden.»
    Eine unauffindbare Leiche? Jury blickte auf den Hühnerschlegel, der erstarrt in einer Fettlache lag. «Woher wollen Sie dann wissen, ob jemand ermordet wurde? Wird denn jemand vermißt oder was?»
    «Warten Sie, ich werd’s Ihnen gleich erzählen.» Weiteres Geraschel. «Eine Frau, eine gewisse Craigie, führte ihren Hund spazieren. Nein, Moment mal, es war gar nicht ihr Hund …»
    Jury schloß die Augen. Racer würde sich nicht mit den Tatsachen begnügen ; er würde wie immer eine ganze Chronik daraus machen. Der Chief Superintendent hielt sich nämlich für einen Erzähler von Format.
    «… diese Frau tritt also aus einem Laden und versucht, den Köter zu verjagen; er läßt einen Knochen fallen, nur –»
    Eine dramatische Pause. Jury wartete und inspizierte den Hühnerschlegel, nichts Gutes ahnend. Nur war es kein Knochen. Ja, das würde gleich kommen.
    «… war es kein Knochen», sagte Racer genüßlich. «Es war ein Finger. Machen Sie sich also auf die Socken, Jury. Und nehmen Sie Wiggins mit.»
    «Sergeant Wiggins ist in Manchester. Er besucht seine Familie.»
    «Er verseucht ganz Manchester mit der Beulenpest, das tut er. Keine Angst, ich werde ihn schon ausgraben, was bei Wiggins ganz wörtlich zu nehmen ist. Tut mir ja leid, daß Sie Ihr Wochenende auf dem Land verschieben müssen. Keine Fuchsjagden, kein Halali. Das Leben eines Polizisten ist eben eine arge Pein.»
    ‹Klick› machte das Telefon im Scotland Yard.
    Jury zog sein Adreßbuch heraus und meldete ein Gespräch nach Ardry End an. Er stützte den Kopf in die Hände und wartete. Ein Finger.
     
     
     
    Ardy End war ein Herrenhaus aus zartrosafarbenem Stein, Sitz der Earls von Caverness (als es noch Earls von Caverness gab), das wie auf einem alten Gobelin ganz versteckt in einem septemberlich goldenen und rostroten Laubwald lag.
    Aber an einem so grauen und nebligen Septembermorgen wie diesem, an dem die Regenschlieren über den Feldern von Northamptonshire hingen, wirkte der Gobelin eher verblichen. Es war so dunkel, daß hinter den kleinen Fensterquadraten eines Raums im Erdgeschoß bereits das Licht brannte.
    Ein vom Regen durchnäßter Spaziergänger hätte bestimmt sehnsüchtig durch die Fenster dieses im östlichen Flügel gelegenen Raums geblickt, eines Raums, der so elegant wie gemütlich wirkte – Queen-Anne-Sofas, aufgeschüttelte Kissen, Kristallüster und be queme Sitzecken, Orientteppiche und warme Kamine.
    Die beiden Personen, die sich in ihm aufhielten – ein gutaussehender Mann Anfang Vierzig und eine untersetzte, dickliche Frau Ende Sechzig –, hätte man für Mutter und Sohn, eine ältere Dame mit ihrem jungen Schützling oder eine glückliche Gastgeberin mit ihrem zufriedenen Gast halten können. In Frage kamen alle sentimentalen Verbindungen, die wir Leuten andichten, die sich in der Wärme und im Schein des Kaminfeuers befinden, während wir, die armen, durchnäßten Spaziergänger, neidisch durch die blinkenden Scheiben sehen.
    Man hätte das Bild, das die beiden neben dem lodernden Feuer sitzenden Personen zusammen mit dem alten, tapsigen Hund zu ihren Füßen abgaben, für ein Bild des Friedens und der Harmonie halten können.
    Man hätte glauben können, daß es ein Ort war, an dem auf solche Dinge wie Freundschaft, Vertrautheit und Gespräche Wert gelegt

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