Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden
verdünnte er den Alkohol mit Leitungswasser. Heute jedoch trank er ihn pur. Erst einen kleinen Schluck, dann einen größeren, und den Rest kippte er in einem einzigen Zug hinunter. Er goß sich sofort nach und hatte auch das zweite Glas bald geleert. Der Rest aus der Flasche reichte gerade für ein drittes Glas, und bei diesem letzten Glas ließ er sich Zeit und versuchte, das vertraute Gefühl von Wärme und Wohlbehagen zu genießen, das sich allmählich in ihm ausbreitete. Und auf einmal, unerwartet und geradezu paradox, spürte er, wie die wütende Eifersucht, die ihn eben noch zu überfluten gedroht hatte, wich und er auf einmal ein Gefühl von Zärtlichkeit, ja, Liebe für seine Frau empfand, wie er es lange nicht mehr gekannt hatte. Plötzlich stand ihm wieder jener Tag vor Augen, als sie in völliger Überschätzung ihres Könnens und sehr unzureichend vorbereitet in die Fahrprüfung gegangen und prompt durchgefallen war. Als sie ihm hinterher enttäuscht, aber gefaßt und ganz ruhig erklärt hatte, warum sie ihrer Meinung nach gescheitert war, damals hatte ihn eine Welle von Mitgefühl durchströmt. Und wäre er in jenem Moment den Prüfer, der sich gezwungen gesehen hatte, seiner Frau Unfähigkeit zu attestieren, begegnet, er wäre ihm vermutlich an die Gurgel gegangen. Ihr beinahe demütiges Sich-in-die-Sache-Schicken, ihre völlige Schutzlosigkeit hatten ihn jedenfalls so angerührt, daß er beschloß, alles in seiner Kraft Stehende zu tun, um ihr weitere Niederlagen zu ersparen.
Thomas Bowman nahm den letzten Schluck aus seinem Glas und stieg dann mit langsamen, aber durchaus nicht unsicheren Schritten die Treppe hinunter — die leere Flasche in der Linken, in der Rechten den Brief. Er holte sich die Autoschlüssel vom Küchentisch und zog sich den Regenmantel an. Bevor er den Metro aufschloß, ging er hinüber zu den Abfalltonnen und ließ die Whiskyflasche verschwinden, setzte sich dann hinter das Steuer seines Wagens und fuhr los. Es gab da etwas zu erledigen, eine Kleinigkeit nur, aber er wollte es gleich tun.
Das Ziel seiner Fahrt war seine Arbeitsstelle. Sie lag nur etwa einen Kilometer entfernt in Chipping Norton. Er war nun fast euphorisch, so begeistert war er von der unabweisbaren Logik dessen, was er plante. Erst bei seiner Rückkehr, etwa eine Viertelstunde später, als er den Brief wieder in die Handtasche zurücklegte, wurde er sich plötzlich bewußt, wie sehr er den Mann, der ihm die Zuneigung seiner Frau geraubt und sie zur Untreue verleitet hatte, haßte und verachtete — er war ja nicht einmal Manns genug gewesen, den Brief mit seinem Namen zu unterzeichnen.
Der Regen hatte endlich aufgehört. Margaret Bowman stand inmitten der kleinen Schar von Trauergästen am offenen Grab. Sie war froh, die grauen Schuhe angezogen zu haben, die Friedhofswege waren völlig aufgeweicht, und man sank bei jedem Schritt, den man machte, unweigerlich ein. Der überraschend jungenhaft aussehende Geistliche leitete die Trauerfeier mit würdigem Ernst und ohne ungebührliche Hast. Sie hatte hier und da Gesprächsfetzen aufgefangen und so erfahren, daß der Alte bei der Landung in der Normandie dabeigewesen war und bis zum Schluß mitgekämpft hatte. Als zum Abschluß einer der Veteranen aus dem Britischen Frontkämpferverband eine Mohnblume auf seinen Sarg geworfen hatte, Symbol des Gedenkens an die Toten beider Weltkriege, waren ihr die Tränen in die Augen gestiegen.
«Das wär’s dann wohl gewesen», sagte ihre Begleiterin, die Frau mit den gelben Gummistiefeln. «Mit Port und belegten Broten ist heute wohl nicht zu rechnen.»
«Ist das denn sonst üblich?»
«Na klar, schon um auf andere Gedanken zu kommen. Heute hätten wir es gut gebrauchen können — bei dem Mistwetter.»
Margaret erwiderte nichts darauf, und die beiden Frauen schwiegen, bis sie wieder im Wagen saßen.
«Kommst du noch mit in den Pub?»
Margaret schüttelte den Kopf. «Nein, lieber nicht. Ich möchte schnell nach Hause.»
«Du wirst dich doch wohl jetzt nicht hinstellen und ihm das Mittagessen kochen?»
«Ich habe gesagt, ich würde uns eine Kleinigkeit zurechtmachen, wenn ich wieder zurück bin», sagte sie beinahe entschuldigend.
Die Frau in den Gummistiefeln zuckte nur mit den Achseln. Margaret machte einen nervösen Eindruck, es war wohl das beste , sie so schnell wie möglich zu Hause abzusetzen und dann allein zum Pub weiterzufahren, wo die anderen schon auf sie warten würden.
Margaret trat sich die Füße
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