Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden
Ort — und das heißt, wir haben sie so gut wie gefunden. Wir brauchen jetzt nur noch ein wenig herumzutelefonieren...»
Aber Lewis hatte von Anfang an keinen guten Start. Gleich beim ersten Anruf erfuhr er, daß sie letzte Straßensammlung der RSPCA in Oxford bereits Anfang Juli stattgefunden habe, und das hieß, daß der Aufkleber von irgendeiner anderen Organisation stammen mußte. Und wiederum begann er, sich eine Liste anzulegen. Zunächst notierte er die allgemein bekannten Hilfsorganisationen für die Opfer von Krankheiten wie multipler Sklerose, Rheuma, Krebs etc., ging dann über zu den großen Wohltätigkeitsorganisationen, angefangen bei Christian Aid , über Oxfam bis hin zu War on Want etc. Als nächstes kamen die Vereinigungen zur Unterstützung von in Not geratenen Angehörigen bestimmter Berufsgruppen wie der Krankenwagenfahrer, Feuerwehrmänner und Rettungsbootsmaate an die Reihe und danach die regionalen Gruppen, die Hospitäler für unheilbar Kranke oder Tageskliniken für psychisch Gestörte etc. unterhielten. Und das waren längst nicht alle; Lewis hätte noch Dutzende anderer hinzufügen können. So hätte er zum Beispiel noch die Nationale Vereinigung zur Wiedereingliederung von Straftätern in seine Liste aufnehmen können. Aber das ließ er sein. Er blickte schon so nicht mehr durch.
Es war mehr als deutlich, daß eine Auswahl getroffen werden mußte, und Lewis wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als Morse an seiner Seite zu haben — der wäre, das wußte er, sofort in der Lage, die richtige Entscheidung zu treffen. Das Gefühl, das er hatte, war ähnlich dem in seiner Schulzeit, wenn er mit einer schwierigen Mathematikaufgabe konfrontiert gewesen war: Je mehr er sich mit ihr befaßt hatte, um so komplexer und verwirrender schien sie zu werden — bis endlich der Lehrer eingegriffen und ihm eine Abkürzung des Lösungsweges gezeigt hatte. Und auf einmal hatte er nur ein paar Additionen ausführen müssen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, und das wichtigste: es war das richtige Ergebnis gewesen. Aber Morse, der einzige, der ihm aus seiner jetzigen Verwirrung hätte heraushelfen können, war offenbar noch immer anderweitig beschäftigt, und so beschloß Lewis seufzend, die vor ihm liegende Aufgabe allein anzugehen.
Eine Stunde später war sein Wissen, was die Sammelaktionen von Wohltätigkeitsorganisationen anging, noch immer auf dem gleichen Stand wie vorher, und bei jeder neuen Nummer, die er anwählte, wuchs seine Erbitterung: entweder es meldete sich niemand oder wenn doch, so stellte sich heraus, daß er einen der vielen freiwilligen Umschlaglecker, den Maler, den Hausmeister oder schlicht und einfach einen inkompetenten Idioten erwischt hatte. Aber oft ertönte, nachdem er gewählt hatte, auch ein Klicken. Dann wußte Lewis, daß er an einen Anrufbeantworter geraten war, und legte den Hörer, ohne erst die monotone Ansage abzuwarten, gleich wieder zurück. Nach einer weiteren Stunde gab er schließlich auf. Es war ihm nicht gelungen, unter der Vielzahl der Wohltätigkeitsorganisationen auch nur eine einzige auszumachen, die in den letzten Dezembertagen in Oxford gesammelt hätte.
Die Aufgabe war eben für einen einzelnen Mann gar nicht zu schaffen, und genau das sagte er auch Morse, als dieser gegen elf Uhr hereinschaute, in der Hand eine Tasse Kaffee und einen ballaststoffreichen Apfelkeks, so daß Lewis im ersten Augenblick annahm, der Chef ahne etwas von seinem Dilemma und bringe ihm zum Trost etwas zum Essen. Aber das war natürlich ein Irrtum.
«Wir brauchen einfach ein paar von den Männern, die man uns angeboten hat, Sir», sagte er.
«Nein, nein, Lewis, kommt gar nicht in Frage. Ich habe keine Lust, einem Haufen Streifenpolizisten stundenlang irgendwelche Dinge zu erklären. Wenn Sie mit den Wohltätigkeitsorganisationen nicht weiterkommen, dann nehmen Sie sich eben die Schönheitssalons vor. Ich komme und helfe Ihnen, wenn ich mit meinen eigenen Sachen fertig bin.»
So machte sich Lewis also wieder an die Arbeit; er würde, so überlegte er, mit den Kosmetik-Instituten beginnen, die im Branchen-Telefonbuch eine mehrzeilige Anzeige eingerückt hatten — davon gab es zum Glück nur vier. Bei näherem Nachdenken zeigte sich jedoch, daß auch diese Aufgabe ihre Tücken hatte — was sollte er am Telefon eigentlich sagen? Er stellte sich im Geiste vor, wie er anrief und erklärte, er suche eine Frau — ihr Aussehen könne er leider nicht beschreiben, ihren
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