Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden
offenbar mehrere Leute gibt, deren Feiertagsvergnügen nicht ganz astrein war — in welcher Hinsicht auch immer.»
Lewis nickte, nahm einen Schluck von seinem Kaffee und lehnte sich in seinem Sessel zurück. So wie er Morse kannte, war jetzt der Moment gekommen, wo er endlich mit der Erklärung (einer ausführlichen Erklärung!) herausrücken würde für die erstaunlichen Enthüllungen, die sich gestern nachmittag ergeben hatten.
«...Wenn man vorhat», begann Morse, «einmal aus allen Verpflichtungen auszubrechen, und sich ein Wochenende lang in einem Hotel mit einer hübschen Frau vergnügen möchte, die eben nicht die eigene Frau ist, so braucht man, um diese Absicht in die Tat umzusetzen, vor allem eine Adresse, die man bei der Zimmerreservierung angeben kann — nur darf es aus einsichtigen Gründen nicht die eigene Adresse sein. Natürlich gibt es Leute wie die Smiths, die wissen, wie man auch ohne vorherige Reservierung an ein Hotelzimmer gelangt, aber die beiden haben das ja sozusagen berufsmäßig gemacht und kennen natürlich sämtliche Tricks. Davon also einmal abgesehen, geht einer Zimmerreservierung normalerweise eine Korrespondenz voraus. Wenn nun die Frau, mit der man sich ins Vergnügen zu stürzen wünscht, ledig ist oder geschieden oder getrennt lebt, so ist das Ganze kein Problem. Sie kann das Zimmer auf ihren Namen und unter ihrer Adresse reservieren, so wie zum Beispiel Philippa Palmer es gemacht hat. Kommen wir nun zu unserer mysteriösen , Mrs. Ann Ballard aus Chipping Norton. Wenn wir sie ausfindig machen und von ihr erfahren könnten, was sich am Silvesterabend beziehungsweise Neujahrsmorgen im Zimmer drei der Dependance abgespielt hat, so wäre unser Fall vermutlich gelöst und wir um eine Sorge leichter. Bedauerlicherweise nur scheint sie eine ganz und gar rätselhafte Person zu sein und kaum greifbar. Dieser Anschein täuscht jedoch. Bei näherem Hinsehen stellen wir nämlich fest, daß wir tatsächlich eine ganze Menge über sie wissen. Eine Möglichkeit, ihr auf die Spur zu kommen, schien zum Beispiel die Tatsache zu sein, daß sie sich kurz vor Jahresende einer Epilationsbehandlung unterzogen hatte. Es tut mir übrigens wirklich leid, Lewis, daß Ihre Ermittlungen in dieser Richtung so mühselig und gleichzeitig so erfolglos waren. Aber ich habe mir, ehrlich gesagt, nicht besonders viel Gedanken darüber gemacht, weil mich zu diesem Zeitpunkt ein anderer Aspekt des Falles mehr beschäftigte: das Problem der Adresse. Sie hatte, wie wir wissen, bei ihrem Briefwechsel mit dem Hotel eine falsche Anschrift angegeben — die Straße gab es zwar, aber kein Haus mit der Nummer 84. Aber offenbar hatte sie das Antwortschreiben des Hotels trotzdem erhalten. Einen Brief an eine nicht existierende Adresse zugestellt zu bekommen scheint ein Ding der Unmöglichkeit — und doch war es geschehen. Also mußte ich mich fragen, wie ? Und wenn man sich erst einmal auf das Paradox eingelassen und akzeptiert hat, daß es eine Möglichkeit geben muß, dann ist die Beantwortung der Frage nicht einmal mehr besonders schwierig. Es ist nämlich gar kein Problem, sich Post unter einer nichtexistierenden Adresse vorzustellen, vorausgesetzt, man arrangiert sich mit dem Briefträger.» Er sah Lewis’ ungläubigen Blick und fuhr fort: «Ich werde Ihnen das am besten an einem Beispiel erklären. Nehmen wir einmal die Banbury Road. Das ist eine ziemlich lange Straße mit entsprechend vielen Hausnummern; ich glaube, es geht bis ungefähr vierhundertachtzig oder so. Nehmen wir jetzt mal an, die höchste und letzte Nummer sei vierhundertdreiundachtzig. Was passiert dann mit einem Brief, der an Nummer vierhundertfünfundachtzig adressiert ist — eine Nummer also, die es nicht gibt? Nun, der Sortierer, dem dieser Brief in die Hand fällt, wird sich dadurch vermutlich nicht irritieren lassen. Ob die letzte Nummer nun vierhundertdreiundachtzig oder vierhundertfünfundachtzig ist, wer weiß das schon so genau, und wenn es ihm doch zufällig auffallen sollte, so wird er wahrscheinlich annehmen, daß ein neues Haus gebaut worden und entsprechend eine Nummer dazugekommen ist. Ganz anders dagegen sieht die Sache aus, wenn der Brief an eine Nummer fünfhundertfünfundachtzig oder sechshundertfünfundachtzig adressiert wäre, dann würde sich der zuständige Sortierer vermutlich denken, daß etwas schiefgelaufen sei, und den Brief beiseite legen. Es gibt für solche Fälle ein Extra-Fach, um das sich ein speziell
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