Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden
leisteten — wenn diese Entschädigung nur in Form von Pfund und Schilling möglich sei, dann müsse die Rechnung wohl offen bleiben. Sie gab Lewis den Brief ihres Mannes, den sie bei ihrer Rückkehr aus London vorgefunden hatte, und bot dem Sergeant an, ihm ihr Versteck (ein Loch unter einem der Dielenbretter im Gästezimmer) zu zeigen, in dem sie gerade eben, bevor sie gekommen seien, die von ihrem Mann hinterlegten sechshundert Pfund gefunden habe. Aber Lewis wollte es gar nicht sehen; er war viel mehr daran interessiert, den Aufenthaltsort von John Smith zu erfahren. Sie wußte jedoch nicht, wo er war — er hatte sie in seine Pläne nicht eingeweiht — , und weigerte sich auch standhaft, irgendeine Vermutung zu äußern.
Nach ihrer Vorgehensweise bei den Betrügereien befragt, erklärte sie, diese seien alle nach demselben Muster abgelaufen: Sie hätten immer zu den Hauptreisezeiten wie Weihnachten, Ostern oder den Sommerferien ein halbes Dutzend Hotels angerufen, ob sie kurzfristig noch etwas frei hätten. Irgendwo habe es immer gerade eine Absage gegeben, so daß ein Zimmer verfügbar gewesen sei. Sie hätten dann gleich am Telefon zugesagt und versprochen, die Reservierung noch schriftlich zu bestätigen. Dies hätten sie natürlich unterlassen, es sei aber nicht weiter aufgefallen, da in der Reisezeit auch bei der Post viel zu tun und die Zustellung daher oft verzögert sei . Einmal im Hotel, hätten sie es sich zur Regel gemacht, immer eine Nacht weniger zu bleiben als vereinbart. Bestand das Pauschalangebot «Atempause für den Geschäftsmann» aus drei Übernachtungen, so blieben sie nur zwei Nächte, waren zwei vorgesehen, so verließen sie das Hotel schon im Laufe des nächsten Tages. Und das war eigentlich schon alles, was sie hatten beachten müssen. Es war im Grunde wirklich sehr, sehr einfach gewesen. Abgesehen von diesen grundsätzlichen Vorsichtsmaßregeln gab es natürlich noch ein paar kleinere Tricks: Zum Beispiel hätten sie immer nur sowenig Gepäck wie möglich dabeigehabt, gerade so viel, wie nötig gewesen sei, um nicht aufzufallen, ihren Wagen hätten sie immer in sicherer Entfernung vom jeweiligen Hotel abgestellt und auf dem Anmeldeformular die Spalte, in der das Kennzeichen eingetragen werden sollte, tunlichst freigelassen. Nicht unwesentlich für ihren Erfolg sei schließlich auch gewesen, wie sie im Hotel aufgetreten seien. Gemäß dem ungeschriebenen Gesetz, daß ein Gast beim Personal um so höheres Ansehen genießt, je anspruchsvoller er sich gibt, hatten die Smiths schon aus Gründen der Tarnung immer nur die besten Menüs ausgewählt und die teuersten Weine bestellt, den Zimmerservice Tag und Nacht in Atem gehalten und sich ansonsten den Gästen und auch den Angestellten gegenüber kühl und reserviert verhalten. Auf diese Art und Weise hatten sie, so schloß Helen, überall im Land, selbst in den exklusivsten Hotels, nichts als Respekt und allergrößte Zuvorkommenheit erfahren. Das schwierigste bei dieser Art Betrügereien sei naturgemäß gewesen, sich nach einer gewissen Zeit ungesehen zu verdrücken. Als beste Zeit dafür habe sich der späte Nachmittag erwiesen, da sei immer wenig Betrieb und die meisten Angestellten in der Pause. Und so hatten sie sich immer zwischen 5 Uhr und 6 Uhr davongemacht — ohne Dank, ohne Bezahlung und natürlich ohne ein «Auf Wiedersehen».
Wenn Helen Smith vor die Schranken des Gerichts treten müßte — was nach Lewis’ Ansicht ziemlich wahrscheinlich war so würde sie sich vermutlich ohne viele Umstände für schuldig erklären und möglicherweise noch eine ganze Menge Vergehen gestehen, die ihr gar nicht angelastet worden waren. Sie war wirklich alles andere als eine typische Kriminelle, dachte Lewis, und die Art, wie sie über ihre Betrügereien erzählt hatte, war von einer geradezu entwaffnenden Naivität gewesen, die beinahe Unschuld gleichkam. Nach ihrem letzten Coup befragt, dem nicht bezahlten Aufenthalt im Haworth, gab sie sofort bereitwillig und allem Anschein nach auch ehrlich Auskunft. Ja, sie hatten sich insgesamt vier Flaschen Champagner bringen lassen, zwei am 31. und zwei am 1. — sie und John seien beide geradezu verrückt nach Sekt. Drei von den Flaschen hätten sie ausgetrunken, die letzte mit nach Hause genommen, sie liege noch immer im Kühlschrank. Ob der Sergeant sie sehen wolle? Lewis wollte. Wieder zurück im Wohnzimmer, fragte Lewis sie nach den Ballards. Doch, sie könne sich gut an sie erinnern — und
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