Instrumentalität der Menschheit
Rädern beförderten Menschen mit unvernünftiger Geschwindigkeit über glatte, platte Straßen.
»Dafür haben also die Straßen gedient«, keuchte er.
Außer den Menschen sah er auch viele Hunde. Sie unterschieden sich erheblich von den Wesen, die in der Welt von Charls existierten. Sie waren nicht jene großen, ottergleichen Tiere, die die Unbefugten Menschen als minderwertig schmähten; auch waren sie nicht wie die Unbefugten Menschen selbst, und ganz gewiß bestand nicht die geringste Verbindung zwischen ihnen und den modifizierten Tieren, die rein äußerlich kaum von den Wahren Menschen unterschieden werden konnten. Nein, diese Hunde aus Julis Welt waren glückliche Geschöpfe mit nur wenig Pflichten. Zwischen ihnen und den Menschen schien ein liebevolles Verhältnis zu bestehen. Sie teilten mit ihnen Freude und Leid.
Juli hatte die Augen geschlossen, während sie versuchte, ihnen Deutschland nahezubringen. Durch verbissene Konzentration gelang es ihr, die Bilder voller Schönheit und Glück durch andere Dinge zu ersetzen – schreckliche fliegende Dinge, die Feuer abwarfen, Donner und Lärm, ein furchterregendes Gesicht, ein verzerrtes Antlitz mit einem schwarzen, haarigen Fleck über dem Mund, Flammen in der Nacht, das Donnern tödlicher Maschinen. Über diesen Donner erstrahlte ein Bild, das Juli und zwei weitere, ihr sehr ähnliche Mädchen zeigte. Begleitet wurden sie von einem Mann, offenbar von ihrem Vater, der sie zu drei Eisenobjekten führte, die aussahen wie jenes, mit dem Juli gelandet war. Dann folgte Dunkelheit.
Das war Deutschland.
Juli sank zu Boden.
Sanft tasteten die vier nach ihrem Bewußtsein. Für sie war es wie ein Diamant, so klar und durchsichtig wie ein sonnenbeschienener See im Wald, aber das Licht, das ihnen entgegenschlug, war keine Reflexion. Es war hell und klar und blendend. Jetzt, wo es ruhte, konnten sie tief in das Bewußtsein hineinblicken. Sie sahen Hunger, Schmerz und Einsamkeit. Sie sahen eine Einsamkeit von einer solchen Intensität, daß alle gleichzeitig darüber nachzudenken begannen, wie sie sie lindern konnten. Liebe, dachten sie, was sie braucht ist Liebe, und zwar von ihrer eigenen Art. Aber wo konnten sie einen Alten finden? Würde ein Wahrer Mensch antworten?
»Es bleibt nur eins zu tun«, erklärte Bil. »Wir müssen sie zum Haus des Weisen Alten Bären bringen. Er besitzt Verbindungen zu den Wahren Menschen.«
»Aber sie hat nichts Schlimmes getan!« rief Oda.
Ihr Vater sah sie an. »Liebling, wir wissen nicht, was das eigentlich für ein Wesen ist. Sie ist eine von den Alten und nach langem Schlaf im Weltraum zu dieser Erde zurückgekehrt. Tausende von Jahren sind seitdem vergangen. Ich glaube, sie beginnt dies jetzt zu begreifen – darum auch der Schock. Wir brauchen Hilfe. Unser Volk mag sich aus den Hunden entwickelt haben, und für Hunde hält sie uns auch jetzt noch. Wir dürfen uns dadurch nicht stören lassen. Aber sie benötigt ein Haus, und das einzige befugte Haus, das ich kenne, gehört dem Weisen Alten Bären.«
Charls musterte seine Eltern. Seine Augen verrieten Sorge. »Was hat diese Sache mit den Hunden zu bedeuten? Sind wir deshalb so verwirrt, wenn wir über die Wahren Menschen nachdenken? Und sie hat mich auch verwirrt. Meint ihr, daß ich ihr wirklich gehören will?«
»Nicht wirklich«, beruhigte ihn sein Vater. »Das ist nur ein Gefühl aus der lange vergessenen Vergangenheit. Heute führen wir unser eigenes Leben. Aber dieses Mädchen – es ist ein zu großes Problem für uns. Wir werden sie zum Bären bringen. Zumindest besitzt er ein Haus.«
Juli war noch immer ohnmächtig, und sie war so groß im Vergleich zu ihnen. Sie packten sie an den Gliedmaßen, und unter Mühen gelang es ihnen, sie zu tragen. Der zehnte Teil der Nacht war vergangen, als sie das Haus des Weisen Alten Bären erreichten. Glücklicherweise waren sie von den Manshonyaggern und den anderen Gefahren des Waldes verschont geblieben.
An der Tür zum Haus des Weisen Alten Bären legten sie das Mädchen sanft auf den Boden.
»Bär, Bär«, rief Bil, »komm heraus, komm heraus!«
»Wer ist da?« antwortete eine Stimme aus dem Innern.
»Bil und seine Familie. Wir haben einen Alten bei uns. Komm heraus. Wir brauchen deine Hilfe.«
Das Licht, das gelb glänzend durch die Türöffnung fiel, wurde plötzlich von der mächtigen Gestalt des Bären verdrängt, der sich vor ihnen auf der Schwelle aufbaute.
Er holte seine Brille aus der Gürteltasche, setzte sie
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