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Instrumentalität der Menschheit

Instrumentalität der Menschheit

Titel: Instrumentalität der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordwainer Smith
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Er griff in seine Tasche. »Lesen Sie es nicht laut vor. Falls einer von uns ein Wort falsch ausspricht und sie es zufällig hören sollte, könnte es die Verbindung zwischen ihr und der lamellierten Maus überlagern.«
    Die beiden betrachteten das Blatt Papier. In klarer, archaischer Schrift stand dort:
     
    Mädchen, wenn ein Mann
    erscheint und macht dich an,
    dann denk blau,
    zähl bis zwei
    und schau nach einem roten Schuh.
     
    Die Techniker lachten warm. »Das wird’s bringen«, sagte der erste Techniker.
    Tiga-belas schenkte ihnen ein verlegenes, dankbares Lächeln.
    »Schalten Sie beide ein«, sagte er. »Leb wohl, Mädchen«, murmelte er leise. »Leb wohl, Maus. Vielleicht sehen wir uns in vierundsiebzig Jahren wieder.«
    Der Raum wurde erhellt von einer Art unsichtbarem Licht, das in ihren Köpfen aufblitzte.
    Im Mondorbit dachte ein Navigator an die roten Schuhe seiner Mutter.
    Zwei Millionen Menschen auf der Erde begannen »eins-zwei« zu zählen und fragten sich dann, warum sie das getan hatten.
    Ein kluger junger Sittich in einem Orbitalschiff rezitierte den ganzen Vers und verwirrte die Mannschaft, die verdutzt über seinen Sinn nachzudenken begann.
    Davon abgesehen gab es keine Nebenwirkungen.
    Das Mädchen in dem Sarg krümmte in schrecklicher Anspannung ihren Körper. Die Elektroden hatten an ihren Schläfen die Haut versengt. Die Brandmale hoben sich hellrot von der gefrorenen, jungen Haut des Mädchens ab.
    Der Würfel verriet keine Reaktion der totlebendigen, lebendtoten Maus.
    Während der zweite Techniker Veeseys Brandmale mit einer Salbe einrieb, setzte Tiga-belas einen Helm auf und berührte sacht die Kontrollen des Würfels, ohne seine Verbindung zu der sargförmigen Box zu unterbrechen.
    Zufrieden nickte er. Und trat zurück.
    »Sie sind sicher, daß alles funktioniert hat?«
    »Wir werden es noch einmal überprüfen, bevor sie tiefgefrostet wird.«
    » Marcia und die Mondmenschen, wie?«
    »Ich lasse Sie es wissen, falls irgend etwas fehlt«, versprach der erste Techniker. »Aber das wird nicht der Fall sein.«
    Tiga-belas warf einen letzten Blick auf das liebliche wundervolle Mädchen. Dreiundsiebzig Jahre, zwei Monate, drei Tage, dachte er. Und auf sie warten, außerhalb des Geltungsbereiches der irdischen Gesetze, tausend Jahre. Und dem Mäusegehirn stehen eine Million Jahre zur Verfügung.
    Veesey lernte niemals einen von ihnen kennen – weder den ersten Techniker noch den zweiten Techniker, noch Tiga-belas, den psychologischen Wächter.
    In der Stunde ihres Todes wußte sie, daß Marcia und die Mondmenschen ihr die schönsten blauen Lichter, den hypnotischen Zählreim »eins-zwei, eins-zwei« und die hübschesten roten Schuhe gezeigt hatten, die jemals auf oder über der Erde von einem Mädchen getragen worden waren.
     
     
3
     
    Dreihundertsechsundzwanzig Jahre später mußte sie erwachen.
    Ihre Box hatte sich geöffnet.
    Jeder Muskel und jeder Nerv ihres Körpers schmerzten.
    Das Schiff kreischte in höchster Not, und sie mußte aufstehen.
    Sie wollte schlafen, schlafen oder sterben.
    Das Schiff kreischte weiter. Sie mußte aufstehen.
    Sie hob einen Arm und legte ihn auf den Rand ihres Sargbettes. Sie hatte in der Ausbildungszeit, bevor man sie unter die Erde schickte, um dort hypnotisiert und eingefroren zu werden, geübt, wie man sich in das Bett legte und es wieder verließ. Sie wußte, wonach sie greifen, worauf sie achten mußte. Sie rollte sich auf die Seite. Sie öffnete ihre Augen.
    Die Lampen waren gelb und grell. Sie schloß die Augen wieder.
    Diesmal erklang irgendwo in ihrer Nähe eine Stimme. Sie schien zu sagen: »Nimm den Trinkhalm in den Mund.«
    Veesey gähnte.
    Die Stimme sprach weiter.
    Irgend etwas Kratziges drückte gegen ihren Mund.
    Sie öffnete ihre Augen.
    Die Umrisse eines menschlichen Kopfes hatten sich zwischen sie und die Lampen geschoben.
    Sie blinzelte und versuchte zu erkennen, ob es sich vielleicht um einen der Ärzte handelte. Nein, sie befand sich auf dem Schiff.
    Das Gesicht kam näher.
    Es war das Gesicht eines sehr gutaussehenden und sehr jungen Mannes. Seine Augen bannten ihre Blicke. Nie zuvor hatte sie jemanden gesehen, der so hübsch und sympathisch zugleich war wie er. Sie musterte ihn genauer, und sie stellte fest, daß sie zu lächeln begonnen hatte.
    Der Trinkhalm schob sich zwischen ihre Lippen und Zähne. Automatisch begann sie zu saugen. Die Flüssigkeit erinnerte an Suppe, aber sie besaß auch einen medizinischen Geschmack.
    Das

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