Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Instrumentalität der Menschheit

Instrumentalität der Menschheit

Titel: Instrumentalität der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordwainer Smith
Vom Netzwerk:
Ich weiß nicht, was es bedeutet, Nancy herbeizurufen. Ich habe nicht die geringste Vorstellung von der Wirkungsweise des Sokta- Virus, ich weiß nur, daß er mich versagen läßt. Für das schäme ich mich aus tiefstem Herzen. Ich bedaure die menschliche Schwäche, die mich zu dieser Entscheidung getrieben hat. Die Schwäche ist menschlich und Sie, meine Herren, haben sie mir zugestanden. In Anbetracht dessen bin nicht ich es, der versagt, sondern es ist die Raumfahrtbehörde selbst, da sie mir die Erlaubnis zum Versagen gibt. Meine Herren, verzeihen Sie die Bitterkeit, mit der ich Ihnen in diesen Sekunden Lebewohl sage, aber jetzt sage ich Ihnen Lebewohl.«
    Er verstummte, zwinkerte, warf den Hamstern einen letzten Blick zu – was mochte aus ihnen werden, wenn der Sokta -Virus seine Wirkung entfaltete? –, drückte den Knopf und beugte sich nach vorn.
    Nichts geschah. Erneut drückte er den Knopf.
    Plötzlich erfüllte ein seltsamer Duft das Schiff. Er konnte ihn nicht identifizieren. Er kannte ihn nicht.
    Unvermittelt kam ihm der Gedanke, daß es der Geruch von frisch gemähtem Heu mit einer Spur von Geranien- und vielleicht auch Rosenduft sein konnte. Er kannte ihn von jener Farm, auf der er vor Jahren einen Sommer verbracht hatte. Es war der Geruch seiner Mutter, die auf der Veranda stand und ihn heim zum Essen rief, und es war sein Geruch, er, der Mann genug war, um sogar bei der Frau in seiner eigenen Mutter schwach zu werden, und noch Kind genug, um glücklich einer vertrauten Stimme zu folgen.
    Er sagte sich: »Falls das alles ist, was der Virus erzeugt, kann ich es ertragen und weiterarbeiten.«
    Er fügte hinzu: »Dreitausend Millionen Kilometer draußen im Raum, nur zwei Hamster als Gesellschaft für die Jahre der Einsamkeit – dann fallen einige Halluzinationen auch nicht mehr ins Gewicht.«
    Die Tür öffnete sich.
    Sie konnte sich nicht öffnen.
    Dennoch öffnete sich die Tür.
    In diesem Moment wurde Greene von einer Furcht gepackt, die entsetzlicher war als alles, was er bisher erlebt hatte. Er sagte sich: »Ich bin verrückt. Ich bin verrückt.« Und er starrte die offene Tür an.
    Ein Mädchen trat ein. »Hallo«, grüßte sie ihn. »Du kennst mich, nicht wahr?«
    »Nein, nein«, erklärte Greene, »wer bist du?«
    Das Mädchen antwortete nicht. Sie stand einfach da und lächelte ihn an.
    Sie trug eine blaue Sergebluse mit breiten senkrechten Streifen, einen Gürtel aus dem gleichen Material und einen hübschen kleinen Büstenhalter, der unter der einfach geschnittenen Bluse hervorblitzte. Sie war ihm nicht fremd, und sie war auf keinen Fall ein Geschöpf des interplanetaren Weltraums.
    Sie war jemand, den er gekannt hatte – gut gekannt. Vielleicht sogar geliebt. Aber er konnte sie nicht einordnen – nicht in diesem Moment, nicht an diesem Ort.
    Sie stand noch immer da und sah ihn an. Das war alles.
    Dann verstand er. Natürlich, sie war Nancy. Sie war nicht nur jene Nancy, von der sie gesprochen hatten, sie war seine Nancy, seine eigene Nancy, die er immer gekannt hatte und der er niemals begegnet war.
    Es gelang ihm, sich zusammenzureißen und sie anzusprechen.
    »Wieso kenne ich dich, obwohl ich dich nicht kenne? Du bist Nancy, und ich habe dich mein ganzes Leben lang gekannt und dich immer heiraten wollen. Du bist das Mädchen, in das ich immer verliebt gewesen bin, auch wenn ich dir heute zum ersten Mal begegne. Es ist merkwürdig, Nancy. Es ist schrecklich merkwürdig. Ich verstehe das nicht. Und du?«
    Nancy näherte sich ihm und legte ihm ihre Hand auf die Stirn. Es war eine richtige kleine Hand, und ihre Gegenwart war lieblich und wohltuend und ihm sehr willkommen. »Es erfordert einiges Nachdenken«, erklärte sie. »Schau, ich bin nicht wirklich, nicht für alle anderen, nur für dich. Und für dich bin ich wirklicher, als es jemals etwas anderes sein wird. Das ist der Sokta- Virus, Liebling. Er ist ich. Ich bin du.«
    Er starrte sie an.
    Er hätte unglücklich sein können, aber er fühlte sich nicht unglücklich. Er war so selig, sie bei sich zu haben.
    »Wie meinst du das?« fragte er. »Hat dich der Sokta- Virus erschaffen? Bin ich verrückt? Ist das nur eine Halluzination?«
    Nancy schüttelte den Kopf, und ihre hübschen Locken wirbelten durcheinander.
    »Das ist es nicht. Ich bin einfach alle Mädchen, die du jemals begehrt hast. Ich bin die Illusion, nach der du dich immer gesehnt hast, aber ich bin du, weil ich den Tiefen deines Unterbewußtseins entstamme. Ich bin all

Weitere Kostenlose Bücher